Kreativergüsse

 Dieses Semester besuche ich ein Seminar zum Kreativen Schreiben. Inzuge dessen sind bereits die ein oder anderen interessanten Ansätze und Texte entstanden, von denen ich einige auf dieser Seite präsentieren möchte.

Ein erster Text entstand als Aufwärmübung am ersten Tag des Seminars; wir sollten unser Frühstück beziehungsweise unsere Morgenroutine beschreiben. Ergebnis der Aufgabe:

Morgen

07:30h, ein Wecker klingelt. Mein Wecker. Noch komplett müde und neben der Spur bringe ich meinen Wecker zu Schweigen. Wieso auch immer ich gerade so dringlichst versuchen muss, meinen Schlafrythmus mit Uni, Aktivismus, Hobbys und Freizeit zu vereinen, ich kann es nachvollziehen, aber nicht verstehen - und akzeptieren?. In der Küche schütte ich meine übliche Mischung an Apfel, Bananen, Tiefkühlbeeren und Nüssen sowie den restlichen Zutaten in meine Schüssel. Auf dem Sofa eingerichtet beginne den Tag mit dem Frühstück. Die Kälte der frisch aus dem Tiefkühlfach geholten Beeren belebt mich für den Moment. Leider nur kurz. 


In einer lustigen Übung durften wir zu einem skurrilen Zeitungsbericht, der von einem Mann mit Schwein an der Leine auf dem Mofa nachts um 4 Uhr angehalten wurde, eine kleine Geschichte mit klarer Perspektive schreiben. Der Zeitungsartikel:



Das Ergebnis dazu:

Mein Opa fährt zum Schweinestall Mofa

Das flaue Gefühl in meinem Magen verschwindet, als ich über den Zaun steige und das kleine Ferkel hinüberhebe. Solch eine Aufregung in meinem Alter… Meine quietschrote Vespa strahlt selbst im Dunkeln - geschafft! Das war doch sehr viel simpler, als ich mir das vorgestellt hatte. Ich leine das Ferkel an, setze mich auf die Vespa und wir fahren zu mir. Was die Leute wohl denken werden? 
Keine zwei Straßen vor unserem Ziel fährt eine Polizeistreife an uns vorbei. Wobei, leider doch nicht, denn sie mahnt mich anzuhalten. Ein Polizeibeamter steigt aus und fragt verwundert, was ich denn um vier Uhr in der Nacht mit einem Ferkel an der Leine vorhabe. Als Improvisationstalent antworte ich schnell: “Guten Morgen, Wachtmeister! Das ist mein Ferkel, ich führe es regelmäßig Gassi, auch des nachts. Und da ich nicht mehr all zu gut zu Fuß bin… Sie wissen, das Alter… eben auf der Vespa.” Der Polizist nickt und schaut mich noch verwirrter an als zu Beginn. “Nun denn, wie Sie sagen… Schönen Morgen!

Eine letzte Übung am ersten Tag sah vor, dass wir in 4er-Gruppen kooperativ eine sehr kurze Szene schreiben sollten. Jede Gruppe bekam drei Eigenschaften zu einer Person, die sie subtil im Stile show, don't tell einbauen sollte. Na, welche Infos über Timo könnt ihr aus folgender Szene ziehen?

Timo am Bahnhof

Er beißt in sein Stück Quiche. Nach mehrmaligem Kauen kommt ihm der Geschmack irgendwie noch immer nicht auf die Geschmacksknospen. Haben die da überhaupt irgendwas reingemacht, Gemüse, Gewürze, irgendwas? Schmeckt wie vorgekaut… Seine Kaubewegungen verlangsamen sich - im Gegensatz zu seinem Herzschlag. Runterschlucken ist keine Option. Mit dem Puls kommt auch der tomatenrote Gesichtston. Schwungvoll dreht er sich zum Verkäufer um und pampt ihn an: “Ist das neu auf eurer Karte? Oder wieso schmeckt die so unausgeklügelt und absolut beschissen! Muss ich immer alles selbst raffinieren? Anscheinend schon!” Während er sich in Rage redet, schaffen Teile der Quiche, sich aus seinem Mund zu befreien. Seine prägnante Stimme zieht bereits die Aufmerksamkeit der anderen Menschen im Bahnhof auf sich, die ihn bereits ungeduldig ansehen. “Entschuldigen Sie, was erwarten Sie von einer Bahnhofsquiche? Ich muss außerdem dringend auf meinen Zug, würden Sie so freundlich sein?” Diese Frage bringt das Fass zum Überlaufen. Der Rest der Quiche landet auf dem Boden. “In meiner Ausbildung hätten Sie dafür verbrannte Finger kassiert!” Ein kurzer Blick auf die Uhr erinnert ihn an seinen eigenen Zug, der in nur zwei Minuten abfahren wird. “Ach, bei Ihnen ist sowieso Hopfen und Malz verloren!” ruft er und stürmt auf den Bahnsteig.

In der zweiten Sitzung ging es weniger ums Ausschreiben, sondern um konkrete Themen wie das Setting oder den Handlungsbogen. Wir durften uns aus drei Bildern eines aussuchen und anhand vorgefertigter kurzer Textstücke wie "Es war einmal...", "Bis dann..." oder auch "Ab diesem Tag..." eine kurze Geschichte schreiben. Das Bild kann ich leider nicht beisteuern, aber die Geschichte gibt's trotzdem:

Literaturtipp

Es war einmal eine alte Dame. Jeden Tag war sie im Stadtpark auf einer Bank anzutreffen, mit unterschiedlichen Büchern in der Hand. Eines Tages setzte ich mich neben sie und fragte, was sie da so lese. Und so kamen wir ins Gespräch über unsere Lieblingsliteratur (fancy Wort, oder? Anm. d. Red.). Sie erzählte mir von ihren in alle Himmelsrichtungen ausgewanderten Kindern und Kindeskindern, die sie mit Tipps versorgen würden. Und dann, Tage später, saß sie mit der Zeit immer gekrümmter da, wenn ich sie im Park sah und grüßte. Bis schließlich ein Rollator sie begleitete und sie schon bald nicht mehr erschien. Und seit diesem Tag ist der Stadtpark ein klein wenig leerer. An Menschen, an Geschichten, an Leben.

Aus demselben Bild konnte ich noch folgende Geschichte schreiben:

Leihgefährt

Es war einmal ein Rollator. Jeden Tag konnten die Bewohnenden des Pflegeheims ihn für kurze Spaziergänge ausleihen. Eines Tages holte Berta den Rollator. Sie hatte ihn noch nie ausgeliehen, war sie neu hier? Und so ließ er sich von Berta durch den angrenzenden Park schieben, bis sie an eine Bank an kamen, wo ein kleines Buch aus dem Korb des  Rollators holte, sich auf die Bank setzte und anfing zu lesen. Und dann war bald auch schon die Zeit des Mittagessens gekommen und Berta machte sich langsam auf den Rückweg. Bis sie schließlich wieder zurück im Heim waren, wo sie den Rollator wieder zurückgab. Und seit diesem Tag werden die Dienste des Rollators regelmäßig von Berta in Anspruch genommen, alle paar Tage mit einem neuen Buch, das sie behutsam in den Korb legt. Sie muss wohl eine leidenschaftliche Leserin sein.

Der nächste Text sollte eigentlich alles andere als ein Text werden, denn er entstand aus einer Übung einer neuen Kreativitätstechnik heraus. Beim Automatischen schreiben wird haptisch mit Stift auf Papier fünf Minuten lang so schnell geschrieben wie es geht, ohne nachzudenken. Wenn nichts einfällt, dann eben die Gedanken dazu, dass nichts einfällt. Heraus kam bei mir Folgendes:

Wirrwarphilosophie

Ich war ich, ich bin ich, ich werde ich. Zukunft ist komisch, kein Zugriff. Zugriff auf Perspektive, Zugriff auf Wörter, Zugriff auf Begriffe. Begriffe für Zukunft, Verangenheit und Gegenwart. Gegenwart war zugegen. Zukunft ist, worauf wir zugehen. ohne es genau zu wissen, ohne uns bewusst zu sein. Sein - auch so eine Sache. Oder eben nicht. Sind Gedanken? Schließlich sind sie nicht materiell. Luft ist materiell, aber nicht so wie der Stift. Der Stift, mit dem ich denke. Über den ich gedacht habe, bevor ich jetzt über Kreativität  denke. Die kann ich nämlich auch nicht anfassen. Was ist das bloß? Was war das? Ein Gedanke, für den ich mich bedanke.

Die Hausaufgabe unserer zweiten Sitzung war, eine kurze Szene mit Konflikt zu schreiben und sie bei eine*r Tandempartner*in kritisieren zu lassen. Die einzige Vorgabe: Maximal 1600 Zeichen inklusive Leerzeichen. Und hier auch schon der Text, für den ich noch kein Feedback habe:

Lichtblick

Bei alldem, was gerade so in der Welt abgeht, zweifle ich nicht selten an der Menschheit. Es gibt jedoch auch rare Lichtblicke.
Der Schweiß rinnt mir von der Stirn, mein Rucksack muss einen großen dunklen Schweißfleck auf meinem Rücken bilden, ich spüre die Feuchtigkeit von Nacken bis Steiß. Was würde ich jetzt für Etwas zu trinken geben! Aber da vorne ist ein Kiosk, der muss neben all den Melonen und Beeren doch auch etwas effizienteress Wasser als das haben! “Eine Apfelschorle bitte!” - “Macht dann 3,20€.” Seufzend schaue ich in meinem Geldbeutel. “Kann ich auch mit Karte zahlen?” Mein Bargeld gibt nur noch Centbeträge her. “Ab 10€” Wir schreiben das Jahr 2025… Zum Rumstänkern bin ich aber zu fertig. Meine Hosentaschen beherbergen auch nur Minzbonbons, Schlüssel und Handy. Da spüre ich an meiner Schulter ein Tippen: “Suchen Sie nach Kleingeld?” fragt eine leicht krächzende Stimme. Ich drehe mich um, vor mir steht gebeugt eine alte Dame mit Rollator und hält mir zwei 2€-Stücke hin. “Ähm, danke!” Überrumpelt bekomme ich zuerst nicht mehr als diese zwei Wörter heraus. Ich reiche die Münzen weiter an den Verkäufer, der es unbeeindruckt entgegennimmt und mir mein Rückgeld heraus gibt. “Vielen Dank, schönen Tag!” verabschiede ich mich. Die ältere Dame wartet wohl auf mich, denn sie ist nicht weitergegangen. “Wie kann ich mich bei Ihnen erkenntlich zeigen?” - “Wissen Sie, ich hatte meine Enkelkinder zu Besuch, die haben mir jeden Tag aus ihren Büchern vorgelesen, das fehlt mir jetzt” und sie reicht mir ein Taschenbuch.

Zur Erheiterung noch ein Ergebnis des automatischen Schreibens, aber diesmal direkt digital. Mal sehen, was das verändert. Auch der folgende Text ist in fünf Minuten entstanden.

Chaos

Ich denke gerade. Woran? Daran, dass ich gerade denke. Worüber ich dachte, bevor ich dachte ich denke, weiß ich nicht mehr. Komisch, Wissen kann so schnell verschwinden? Es entwindet sich wohl geschickt meinem verwundenen Gehirn. Sodass ich darüber hirnen kann wie ich will, aber nicht mehr daran komme. Zu doof. Will ich wirklich daran kommen? Oder denke ich nur, dass ich wirklich will? Oder denke ich, ich denke nur zu wollen? Wolle ist schön weich, Wolle ist schön warm, aber Wolle macht auch schön kühl bei warmem Wetter und Schweiß. Auch in der Schweiz gibt es - trotz der hohen Höhen - Schweiß. Der macht unter Umständen das ganze T-Shirt weiß. Weiß wie in meinem schwarz-weiß-Denken. Böse oder gut, null oder eins, minus oder plus. Tertium non datur. Was war das Terziär nochmal? Waren da nicht diese Flugsaurier mit den langen Schnäbeln? Neblige Erinnerungen der Naturkundemuseumsbesuche als Kind, mit denen ich das verknüpfe. Aber wer weiß, vielleicht ist das auch nur falsch vernetzt. Wie Deutschland. Wenn das besser vernetzt wäre, hätten wir nicht den Problemen zu tun, die wir haben, die andere schon vor dreißig Jahren hatten und wir eigentlich daraus hätten lernen können. Aber nein, Kupferkabel ist besser fürs Fernsehen, wer wird in Zukunft schon große Datenmengen digital von A nach B bringen müssen? Ein Eichhörnchen sucht nach seinen Nüssen. Die sind irgendwo - denn es hatte sie ja in der Vergangenheit - nur wo? Worte kommen inzwischen, ohne dass ich daran denken muss, mein Problem oder Metaproblem oder Metametaproblem des Wollens oder Denkenwollens oder Denkendenkenwollens ist verschwunden, aber langsam kommt sie wieder, diese komische Realität. 

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