Allgäuaktionen

Die letzten Wochen standen alle irgendwie im Zeichen Mixedmeter zu sammeln. Das geht - für mich zumindest - am entspanntesten im Allgäu, dank Ferienwohnung nahe sämtlicher Ausgangspunkte. 


Die verschiedenen gekletterten Linien der vier Tage. Bild: Nika.
blau: Carpe Diem
grün: Fastlane
rot: unterer Gaisalpfall

Zuerst geht's am Sonntag um 3:40h in der Früh Nik aufgabeln, um dann pünktlich um 4 Uhr bei André losfahren zu können. Entspannt gurken wir über endlose Bundesstraßen durch strukturschwaches Gebiet zum Bodensee und wieder weg davon, ehe wir etwas früher als gedacht am Parkplatz der Gaisalpe ankommen. Der Zustieg durch den Tobel ist inzwischen altbekannt und so geht's ratzfatz Richtung Einstieg. Dort sind wir aber - wer hätte das auch an einem Sonntag anders gedacht? - bei Weitem nicht die Einzigen. Wir schauen eine Weile den Leuten in den ersten Seillängen zu, ehe ich den Einstieg über die Fastlane in den Raum werfe, dort haben André und ich letztes Jahr eine Seilschaft getroffen. Gesagt, getan. Vom höchsten Punkt des Schneefelds am Einstieg geht's ein paar Meter runter, die dazu führen, drei Seillängen bis zum zweiten Stand der klassischen Nordwand klettern zu dürfen. Die haben's aber nicht wenig in sich, André ist in Seillänge eins direkt an senkrechten Graspolstern ein Stück über dem letzten Cam gefordert. Da wir noch nicht ganz an die Art Kletterei gewöhnt sind, kommt auch der Spectre als Grashaken zum Einsatz. Seillänge zwei bietet die gleiche Art Kletterei nur in stark verflachtem Gelände, Seillänge drei führt als einfaches Intermezzo zum Stand gemeinsam mit der klassischen und der Carpe Diem. Letztere steht auf dem Plan (wie auch schon letztes Jahr mit André, wäre ich da nur nicht krank geworden), also zweigen wir nach links ab, wo die Klassische nach rechts und die Fastlane gerade rauf führen würde und gelangen so an den Stand unter Seillänge vier der eigentlichen Route. Die macht André noch, und ist da ordentlich gefordert, durchwegs wackliges Anstehen und weite Absicherung mit wenigen Graspolstern oder Hooks. Irgendwann ist die aber auch geschafft und es geht weiter, ich bin dran mit Vorsteigen. Der Beginn der fünften Länge erinnert an die dritte Länge der Fastlane, entspanntes Grasgeklopfe führt zu einem Band, auf dem nach links traversiert wird. Hier gibt's mal kurz ein wenig Luft unter den Sohlen, schwer ist's aber nicht. Die nächste Seillänge darf aber geklettert werden, M4 durch eine Verschneidung, mit wackligen Hooks und kleinen Leisten zum Treten. Ohne Geräte wäre es einfacher, aber irgendwie mogle ich mich durch. Der Rest ist wieder leichtes, aber etwas heikles Gelände: steil abfallender Schotter mit wenig Schneeauflage droht immer, den Kletterfortschritt zunichte zu machen und mich nach unten zu befördern. Am Stand sind wir dann sicher vor Steinen jeder Art, denn ein ausladendes Dach befindet sich hier über dem Wandbuchstand. Die vorletzte Seillänge bietet feinste aber entspannte Mixedkletterei an Eisglasuren, Graspolstern und Fels, so kann und muss das sein! Der Stand befindet sich an einer Wand, circa drei Meter über dem Boden, darf also angeklettert werden. Untendrunter ist halbwegs flaches Schneegelände, also flugs verlängern und die beiden anderen raufholen. Die letzte Länge steht an, eine Verschneidung führt steil nach oben. Danach wird's kurz einfacher, ehe eine glatte Verschneidung die letzte Hürde stellt. Aber auch die ist schnell überwunden und wir steigen zum Gipfel aus. Bereits seit dem Vormittag sind wir in mehr oder weniger dicker Suppe unterwegs, hier oben scheint es auch so zu bleiben. Oder doch nicht? Wenige Meter unterhalb sieht es nach ein paar seichten Blautönen aus. Erst direkt auf dem Gipfel zeigt sich dann, dass wir hier tatsächlich nur wenige Meter überhalb der Wolkendecke stehen. Irre! 

Die fortgeschrittene Uhrzeit veranlasst uns, nicht länger als nötig zu pausieren und wir machen uns an den Abstieg. Der ist dieses Jahr wesentlich angenehmer als letztes, im Südwesthang liegt nur wenig aber fester Schnee, der nicht zum Einbrechen oder Stürzen taugt. Im Gegensatz zu den Unmengen an Eis, die auf dem Abstiegsweg teilweise nicht umgehbar sind. Ein paar wenige Stürze auf Eis und 15 Minuten Autofahrt später stehen wir im Warmen und essen. Am nächsten Morgen merke ich leider beim Aufwachen, dass sich eine Erkältung anbahnt. Da ich die kommenden Wochen gerne mehr Klettern würde, lasse ich André und Nik zu zweit losziehen, obwohl meine Motivation mich auch gerne wieder in der Wand gesehen hätte. Aber ein Tag entspanntes Herumdösen, Teetrinken, Literaturstöbern war wohl die richtige Entscheidung, am Abend bei der Rückkehr der beiden und unserer Heimfahrt läuft die Nase schon weitaus weniger. Außerdem: Am Wochenende drauf geht's wieder dorthin, vorausgesetzt die Erkältung bleibt mir tatsächlich fern. 

André in Seillänge zwei der Fastlane.

Am vorletzten Stand der Carpe Diem.

Hallo, ich bin's, der Ötzi. -16°C. Foto: André.

Gipfelselfie nach der "Fast Diem" (?) Foto: Nik.

Und so kommt's dann auch, am Freitag fahren Frances, Nika und ich - diesmal zu humanerer Uhrzeit, um 6 Uhr - ab. Die Fahrt dauert ein wenig länger als am Sonntag zuvor, aber geht immer noch gut. Im Zustieg durch den Tobel hat sich allerdings in den wenigen Tagen zwischen meinen Besuchen einiges an Eis gebildet, so werden wir diesmal auch ordentlich dafür bestraft, diesen (eigentlich im Winter gesperrten) Weg gewählt zu haben statt der Fahrstraße. Eisgeräte raus und bisschen den Hang seitlich beklettern bringt die ersten Kraxelmeter bereits einige hundert Höhenmeter vor der eigentlichen Wand. 

Wandanalyse. Foto: Frances.

Dort um 12:30h angekommen machen wir nicht lang rum und stiefeln zum Einstieg der mir bereits bekannten ersten Längen der Fastlane. Mit dem Wissen, was abgehen wird, gehen hier die ersten drei Längen steilstes Gras auch fix rum; diesmal fühlt es sich auch so sicher an, dass es den Grashaken nicht braucht. Am zweiten Stand sammeln wir den Karabiner von André ein, den ich aus Versehen am Wochenende zuvor dort als fixen Karabiner misinterpretiert hatte (er ging nicht auf), mit dem Wissen darüber, dass der doch nicht fix war und etwas Gewalt geht auch der auf. Die zweite Länge klettere ich auf direkterer Art und Weise als beim letzten Versuch und umgehe damit etwas unguten Fels im steilen festen Gras. Seillänge drei ist dann noch entspanntes Grassteigen zum zweiten Stand der Klassischen. 

Nika kurz vor dem Stand einer der unteren Längen der Fastlane. Foto: Frances.

Karabiner mit Geschichte an Stand Nummer zwei.

Ach ja, Mixedklettern... *seufz* Foto: Nika.

Frances taucht vor dem Schneefeld auf.

Von dem geht es direkt rauf, eine steilere Wand mit Grasnarben darf geklettert werden. Vor der eigentlichen Kletterei sichert ein Normalhaken ab, die eigentliche Kletterstelle ließe sich maximal mit Grashaken absichern. Am Ende dann ein Bohrhaken, der in leichtes Gelände führt. Die nächste Seillänge führt in ebenso einfachem Gelände hinauf, die sechste Seillänge noch einfacher. Nun kommt die Crux der Route: Vom Stand gerade hinauf in steilem Fels mit Gras, die Sache lässt sich aber gut mit Cams absichern. Nun geht's immer leicht linkshaltend einer Rinne nach, im Verlauf der Seillänge sind vier Bohrhaken zu finden. Die sind aber fast alle zwingend anzuklettern, M5 ist hier obligatorisch im unguten Sturzgelände zu klettern. Laut André gingen hier auch noch irgendwie Microcams unter, aber so richtig gut waren die anscheinend nicht. Zum Schluss steigt mensch durch einen kleinen Kamin aus der Rinne nach links. Hier seilen wir ab, da die nächste Länge mit einigen Latschen und recht flach eher ungemütlich zum Abseilen bzw. Seilabziehen aussieht und auch nur mit M2-3 bewertet ist  (und es inzwischen auch bald dämmert).

Spaßige Kletterei in SL4 der Fastlane. Foto: Nika.

An Tag 2 dann gibt's wieder die Carpe Diem, diesmal aber auf der "richtigen" Route. Vor uns sind einige Seilschaften, die auch das Gleiche vorhaben wie wir, aber wir sind heute mit mehr Zeit angereist als am Vortag und so stressen wir uns nicht. Nika steigt die ersten drei Längen vor, wovon die ersten zwei gleich der Klassischen Nordwand sind. In Seillänge vier laufen wir auf eine Seilschaft auf, die etwas am unguten Gelände der Seillänge verzweifelt, aber sehr früh einsieht, dass sie uns vorbeilassen könnten und dann einen erneuten Versuch wagen oder abseilen. Als zweite Mixedroute obligatorisch zu kletternde doofe Gras-Schnee-Fels-Längen sind auch nicht unambitioniert. Ich übernehme den Vorstieg, wechsle die ersten zwei Exen gegen unsere und lasse sie den beiden zukommen. Mit dem Wissen, was mich hier erwartet geht die ungute Länge auch recht fix zuende, Commitment und Umsicht sind hier gefragt. Länge 5 beginnt mit einfachem Grassteigen und führt dann auf einem anfänglich stark ausgeprägten Band nach links zu einer der Schlüsselstellen. Eine Verschneidung ist hier zu klettern, M4 ist obligatorisch zu klettern, teils in etwas ungutem bis sehr losen Fels seitlich. Ohne Geräte geht's einfacher. In etwas ungutem, wenig schneebedeckten Schotter geht's zum Wandbuch unter einem Dach. Auf die vorletzte Länge freue ich mich bereits die ganze Zeit, sehr entspannte Schnee- und sogar Eiskletterei wartet auf, kurz sogar etwas goulotte-ähnlich. Den ungut hoch hängenden Stand verlängere ich wieder nach unten, damit alle im Schneefeld entspannt stehen können. Nun geht's in die Cruxlänge, die mit dem Wissen über Was Wie Wann Wo auch schnell zuende geht. Am Ausstieg stapfen wir gen Gipfel, die angegebene Stunde ist auch diesmal, ohne Stress, äußerst pessimistisch, ohne Eile sind wir in 25min am Gipfel. Im Abstieg inspizieren wir die oberen und unteren Gaisalpfälle, die oberen sehen noch immer äußerst dünn aus, vermutlich kletterbar aber die Stände sind auch im Eis einzurichten. Als großes Fragezeichen stellt sich der Ausstieg aus der oberen Kerze aus, über der ich kein Eis ausmachen kann. Etwas ungut. Der untere Fall sieht aber nicht einmal schlecht aus, wenige Fragezeichen, die allesamt kleiner sind als die beim oberen Fall, außerdem sind die Stände im Fels eingerichtet - das Ziel für Sonntag steht fest. Daheim gibt's lecker Salat und Bratlinge und Reis, so muss Winterklettern sein!

Die zweite Hälfte der Nordwand, im zentralen Teil: Schneestapfen! Foto: Nika.

Gipfelselfie nach der Carpe Diem, diesmal ganz ohne Nebel oder Wolken. Oder vereistem Bart. Foto: Frances.

Am Sonntag machen wir uns auf den gut bekannten Zustieg, zweigen aber nicht aufs Schotterfeld ab, sondern folgen dem Bachlauf zu den Fällen. Vor uns ist bereits eine Seilschaft in der ersten Länge tätig, wir sind also nicht allein mit unserer Einschätzung. 

Schnell geht's los, die erste Länge ist entspannt und braucht hauptsächlich etwas Zeit, weil die bis zu den Gewichten im Eis steckenden Hauen immer herausgepfriemelt werden müssen. An einem etwas dubiosen Stand (zwei wackelnde Latschenwurzeln) sichere ich die beiden nach. Über ein flaches Schneefeld geht's unter die Cruxlänge. Schön im 80°-Gelände führen die ersten Meter nach oben, allerdings nicht durchgehend so dick, an einigen Stellen bekomme ich meine 13er- Schrauben nur zur Hälfte versenkt. An den fetten Stellen gehen dafür auch mal die 16er. Ich bin nach den ersten zwei Schlägen total im Flow und so ist die Länge so schnell vorbei, wie sie angefangen hat. Seillänge drei führt über etwas strukturierteres Eis hinauf, nur kurze 3m-Aufschwünge steil, sonst flach. Am Stand hier kommt uns die erste Seilschaft entgegen abgeseilt, anscheinend ist die letzte Länge sehr nass. Abwarten. Wärend ich Frances und Nika zu mir nachsichere, schaue ich mir die nicht-Säule des Zapfenstreichs an, lose Blumenkohle sind hier aufeinandergeschichtet. Vermutlich nicht wirklich gut zu klettern, geschweige denn abzusichern. 

Seillänge eins des Solotrips läutet entspannt die Eiskletterei ein. Foto: Frances.

Schlüsselseillänge: steileres, nicht allzu dickes Eis. Aber schön strukturiert. Foto: Frances.

Frances nutzt die natürlichen Töpfe der Länge. Foto: Nika.

Seillänge drei windet sich durch moderates Eis. Foto: Nika.

Die letzte Länge steige ich irgendwie immer der Nase nach, zuerst im Kompakteis, dann kurz im Blumenkohl. Der führt zu einem offenen Trichter, durch den der Wasserfall läuft. Ab hier bleibt die Sache eher dünn und die letzten Meter sind auch eher abgelöst und etwas ungut über doofen Fels. Etwas weiter am linken Rand wäre eine durchgehende Kompakteisspur gewesen, aber egal. Frances und Nika kommen nach und freuen sich über die variantenreiche Länge. Eine dritte Seilschaft kommt noch an den Stand und wir unterhalten uns kurz über die Eisverhältnisse in den unterschiedlichen Gegenden, ehe wir abseilen. 

Der Beginn der letzten Seillänge. Foto: Frances. 

Gute Übersicht über die unsere letzte Seillänge, die Frances hier soeben startet. Foto: Nika.


Da ich als erstes Abseile, habe ich auf dem Band vor der letzten Länge die Möglichkeit, den Ausstieg des Zapfenstreichs anzuschauen. Vorsichtig klettere ich die ersten Meter an, es lässt sich klettern, allerdings müssen viele lose Blumenkohle vor dem Treten oder Schlagen/Hooken geräumt werden. Absicherung ist aber nicht möglich auf den ersten sieben Metern. Tendenziell wäre ich motiviert, hier nochmal raufzuklettern, aber wir wollen auch nicht allzu spät in Freiburg sein. Der Verkehr versucht dem zwar etwas entgegenzusetzen, aber um 21h sind wir alle wohlbehalten zurück im nichtwinterlichen Freiburg. 

Nika im Profil beim Abseilen, ich beim Testen der Blumenkohle des Zapfenstreichs. Foto: Frances.

Facts: Rubihorn (1957m) - Fastlane
Länge: 280m auf 8 Seillängen
Erstbegehung: Michaela Schuster, Fritz Miller März 2021
Schwierigkeiten: M5
Absicherung: Stände im unteren Teil an einem Bohrhaken, danach an zwei. Bohrhaken an wenigen Stellen, teilweise ganz okay absicherbar. Sämtliche Kletterstellen sind aber deutlich obligat zu klettern.
Material: 10 Exen, Totem Cams 0.2-1 (alternativ Tricams), Keile, 1-2 Spectre Ice Pitons fürs Gras. Eventuell kleines Hakensortiment. 
Fazit: Schöne und logische Linie mit sehr toller Kletterei. Sowohl die Gras- als auch die Felskletterei ist etwas schöner als in der Carpe Diem, aber auch deutlich anspruchsvoller. Erfahrung im winterlichen Graskalk nötig. 

Facts: Rubihorn (1957m) - Carpe Diem
Länge: 400m bis zum Gipfel, 8 Seillängen plus Schneegestapfe
Erstbegehung: Alban Glaser, Andreas Steck, 05.01.2006
Schwierigkeiten: M5
Absicherung: Stände an Bohrhaken, Route is generell recht gut mit Bohr- und Normalhaken eingerichtet, aber auch obligat zu klettern.
Material: 10 Exen, Totem Cams 0.2-1 (alternativ Tricams), (Keile), eventuell 1 Spectre Ice Piton fürs Gras. Eventuell kleines Hakensortiment. 
Fazit: Nach der Mittleren Nordwand und der Klassischen Nordwand die zugänglichste Route an der Nordwand. Nicht zu unterschätzen, Erfahrung nötig und an einigen Stellen Commitment. Nicht immer ganz solider Fels. Schöne Schee- und Eislänge im oberen Teil, auch die Ausstiegslänge ist vom Charakter her goulotte-ähnlich

Facts: Oberstdorf/Unterer Gaisalpfall - Solotrip/Zapfenstreich
Länge: 180m auf 4 Seillängen
Erstbegehung: ?
Schwierigkeiten: WI3 bis WI3-4
Absicherung: Stände im Fels eingerichtet
Material: Eisschrauben je nach Wohlfühlniveau, dementsprechend Exen. 
Fazit: Gut erreichbarer, entspannter Eisfall. Bei besseren Verhältnissen bietet der Zapfenstreich eine senkrechte Säule, die die letzte Seillänge nochmal ansprechender macht. Vom Ausstieg kann auch das Rubihorn Ostwandcouloir angehängt werden, das sonst einen unverhältnismäßig langen Zustieg für fünf Längen hätte. Bedingungen dieses Jahr anscheinend sehr gut dort, verhältnismäßig viel Eis.






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