Scharnitzspitze (2463m) - Hannemann VI-

Oder: am Anfang war der Speck

Für Sonntag, Lukas' und meinen letzten Tag im Schüsselkar, haben wir uns für die Scharnitzspitze entschieden, 'mal ein anderer Gipfel. Hier gibt es einige klassische Routen, unter anderem die Hannemann-Führe von 1920. 
Die Scharnitzspitze

Mit VI- in einer Seillänge, aber sonst durchwegs im V. Grad, stellt sie auf dem Papier einen doch ganz netten Abschluss für unseren Trip dar. Aufgrund der für uns kurzen Nacht (ich habe eventuell insgesamt zwei Stunden Schlaf, Lukas etwas mehr) sind wir früh auf den Beinen, kochen Tee und machen Frühstück. Da das alles auch schnell läuft, wir bald fertig gepackt und auf dem Weg zum Zustieg. Was weniger schnell läuft, sind allerdings wir, die Waden und Oberschenkel haben das Geschleppe des ersten Tags und die durchwegs nicht wenigen Höhenmeter irgendwie nicht ganz so gut vertragen wie gedacht und eigentlich normal daher lassen wir es ruhig angehen.
Am Einstieg knallt wieder die Sonne gut in die Wand und wärmt uns. T-Shirt-Wetter am 30. Oktober, wir entscheiden uns auch gegen die Mitnahme einer Fleecejacke!
In der ersten Seillänge der Hannemann-Führe steht direkt mal eine kleine Schlüsselstelle an: mit V+ zwar technisch leichter als die eigentliche Crux, ist der Riss am Einstieg so abgeschmiert, dass der größte Tritt sich wie aus Eis anfühlt. Lukas müht sich im Vorstieg ab, hat er doch schon länger nichtmehr entsprechendes Gelände auf der Alb geklettert. Vor fünf Jahren hatten wir beide einen ganzen Sommer fast nur solche rutschigen Klassiker im "Schwabenjura" geklettert, aber das ist eben einige Zeit her...
Im Nachstieg und mit der im Orco-Tal erworbenen Risstechnik komme ich schnell nach, muss aber auch zugeben: geschenkt ist das für V+ mit dem Speckgrad definitiv nicht!
Am Stand angekommen schaue ich nach oben und bekomme einen Schreck: die zweite Seillänge ist mit Klebehaken im kurzen Abstand abgesichert, an der Crux auf sogar eine Baguette-Länge (die zwei Haken sind dazu noch mit Reepschnur klettersteigähnlich verbunden)! Ich hatte ja eher etwas spärlicher abgesicherte Kletterei erwartet.
Zügig starte ich in die zweite Seillänge, mit VI- Crux der Route und auch die längste Seillänge. Vom ersten Zug an begeistert die Kletterei, zuerst kurz in Spreizerei direkt hoch, ehe es halb auf die Platte rechts geht. Hier lässt es sich hochtänzeln und mit der krassen Absicherung übersehe ich fast das eine oder andere Mal einen Haken. Schön strukturierter Fels!

Lukas im Nachstieg der zweiten Seillänge

So vergehen die 45m wie im Flug ohne Flug. Ich bin mir allerdings sicher, die Erstbegeher (ja, nicht gegendert) sind in der etwas bröselig und unfest anmutenden Verschneidung einen Meter weiter links der Bohrhakenlinie durch die Platte hochgeklettert. Mit der Sanierung wurde diese Seillänge also vermutlich auch "modernisiert" und durch die Wegführung durch die Platte vermutlich auch klettertechnisch einen kleinen Tick schwieriger. 
Von hier geht's für Lukas in Seillänge drei (V-) kurz hoch, dann einer schwach ausgeprägten Rinne folgend leicht nach links oben. Dort befindet sich auf einem Schotterband der Stand. 
Seillänge vier führt über Kamine, die durch kurze Bänder unterbrochen sind, recht gerade hoch. Die Schwierigkeiten mit V+ musste ich hier etwas suchen, die Länge kam mir um einiges leichter vor. 

Lukas im Rinnen- und Kaminsystem der vierten Seillänge

In Seillänge fünf klettert Lukas kurze 20 Meter etwas links eines Kamins mit einigen größeren losen Blöcken hoch, bis er auf einem großen Plateau mit Schotter den Stand erreicht.

die fünfte Seillänge dann wieder etwas mehr Kletterei, leider kurz

Hier bin ich mir nicht sicher, wo Seillänge sechs hochführen soll, ich kraxle also ein wenig an den Blöcken herum, bis ich einen Haken sehe. Ab hier ist klar, wohin es geht. Oben findet sich allerdings an keiner Stelle ein gebohrter Stand, also baue ich mit einer abgespannten Köpflschlinge kurzerhand einen und hole Lukas nach. Es sind etwa zwei Stunden seit unserem Start in die erste Seillänge vergangen.

In der Scharte zwischen Hauptgipfel und Mittelgipfel wechseln wir kurz in die Zustiegsschuhe und gehen den Abstieg an. Der führt um den Mittelgipfel rum, auf den Ostgipfel und von dort entweder in Abseilerei oder (besser) IIIer-Gelände runter zur Wangscharte. Dort geht es fix die 60 Meter bergab und wir machen uns auf zum Biwakplatz und weiter zum Auto.
Ein gelungener letzter Tag, auch wenn die Absicherung gerne klassischer hätte ausfallen dürfen!

Im Abstieg mit dem Gipfel der Scharnitzspitze im Hintergrund

kennt ihr das noch, Kinder? Das nennt sich "Schnee"


Scharnitzspitze - Hannemann-Führe
Schwierigkeit: VI-
Länge: ca. 200m
Erstbegehung: K. Hannemann und E. Hoesch 1920
Absicherung: E2
Fazit: Schöne klassische Kletterei. In der ersten Seillänge nicht vom Speckgrad von der Schönheit der Kletterei ablenken lassen! Ab etwas nach der Hälfte dann in weniger festem Gestein hoch.

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