Chaos im Bauch

Ein etwas anderer Urlaub


Wer mich kennt, wird wissen, dass ich gerne in höheren Gefilden unterwegs bin. Und gerne lang und anspruchsvoll. Dass das nicht immer so mit den Umständen vereinbar ist, durfte ich wieder einmal erfahren. Geplant war eigentlich, Mittwochabend zum Klausenpass zu fahren und dort am nächsten Tag am Chli Glatten zu klettern. Der Pass hatte laut Website offen. Also fahren wir - Lissi und ich - am Mittwochabend in die Zentralschweiz. In Altdorf runter von der A2 und nach Osten weiter. Nach fünf Minuten Fahrt durch den Ort fällt ein Schild auf, das deklariert: "Klausenpass - gesperrt". Okay, erstmal im Netz checken. Die Seite sagt leider das Gleiche: obwohl andere Pässe wie Furka oder Grimsel einige Meter höher liegen, ist nur der Klausenpass aus Sicherheitsgründen gesperrt. Ich vermute, wegen Felssturzgefahr. Naja, hilft nix. Also vielleicht zum Furka? Die Webcam dort sah vielversprechend aus und der Pass hat offen. Komisch, Maps zeigt über eineinhalb Stunden Fahrtdauer an - über den Autoverlad nach Gletsch und aus dem Wallis hoch. Bei Realp ist wohl ein kleiner Straßenteil gesperrt. Lohnt nicht. Also Susten? Erstmal dort rauf und dann vielleicht an den Pfriendler? Kurzer Zustieg, kurze Kletterei, gute Absicherung und Südseite sollten doch ganz nett sein. Also rauf da. Am Pass oben parken wir - in ziemlicher Winterlandschaft. Aber das ist ein Problem für morgen. Also flugs ins Bett!

Der Pfriendler.

Am nächsten Morgen stehen wir auf, fahren die paar Meter zum Parkplatz auf dem Weg zum Pfriendler und frühstücken dort. Nach ein wenig Packen steht auch schon die Route fest, die wir klettern wollen: den Südostpfeiler, der recht durchgehend 6a bis 6a+ bieten soll. Der Zustieg sieht auch ganz machbar aus. Nur ein Problem: Lissi hat nur Halbschuhe ohne Membran, ich habe allerlei Schuhwerk dabei. Mit Spuren von mir dürfte das aber gehen. Die ersten Höhenmeter bieten zwar ein wenig Schnee, aber viel ist es nicht. Als wir in die Ebene kommen, ändert sich das leider ziemlich rapide. Hier scheint die Sonne nicht so doll hin und so liegen hier noch immer an die 50cm Schnee. Es ist Vormittag, der Schnee trägt teilweise noch ganz gut, also geht es flugs rauf. Nach etwas weniger als der doppelten angegebenen Zustiegszeit erreichen wir mit einigen Flüchen den Wandfuß. Schnell ist auch der Einstieg ausgemacht. Die letzten Meter sichere ich Lissie übers Schneefeld an die Wand, ehe ich in die erste Seillänge starte. Die schaut von unten schon nicht ganz ohne aus, am zweiten Haken geht's über ein Dach, unter dem es aber doch ein ganz passables Angebot an Unter- und Seitgriffen hat. Damit lässt sich zumindest mit dem Rumpf die Stelle schnell überwinden. Nur jetzt wird die Sache ordentlich happig, kleine Leisten sind zu halten und blockieren, damit die Füße auch übers Dach kommen. Ich pumpe ordentlich, hier wäre Hallenausdauer nicht schlecht und die hab ich derzeit nicht. Nach einem ersten Versuch fliege ich raus. Ich guck mir die Stelle nochmal an und starte erneut, wieder nichts. Nach wenigen weiteren Versuchen dann klappt's, aber das war dann wirklich eine der härtesten 6a+, die ich je geklettert bin, und derer gab es bereits einige! Zum Stand hin ist's dann aber entspannt. Lissi guckt im Nachstieg auch nicht schlecht, eigentlich bekommen wir zwei solche Grade recht fix geklettert, aber das war doch eine andere Gangart.

Die Schlüsselstelle von oben.

In Seillänge zwei ist sie nun gefordert. Wir stellen uns beide schon auf mehr als die angegebene 6a ein. Nach ein paar Haken dann scheint es schwierig zu werden. Die Seillänge ist außerdem recht lange, zumindest im Vergleich zur ersten. Im Nachstieg merke ich auch, dass das hier schon ordentlich schwierig ist. Nach ein wenig Kletterei stehe ich vor einem Bauch, der darunter einen Seitgriff hat, aber drüber nix Ordentliches zu Greifen hat. Ich gucke ums Eck, auf die andere Seite - nix. Probiere ein bisschen, hoch anstehen und dann weit greifen - keine Griffe. Also flugs A0 und weiter geht's. Am Stand sind wir beide ordentlich erstaunt. Naja, hilft ja nix, weiter geht es in Seillänge drei.

Hier wirds technisch.

Ich klettere über ein paar Platten, unterbrochen von flachen, botanischen Stücken. Nach ein paar Metern kommt schon wieder ein Stand. Die Kletterei hier hätte mit ein wenig seitlichem Ausholen auch komplett umgangen werden können, aber die Plattenstellen sind schön zu klettern. Am Stand sehen wir einen Haken weiter geradeaus, über dem aber nix mehr. Links suggeriert ein Haken einen Quergang, was nach Topo hinhauen könnte. Lissi nimmt den Quergang und klettert einen schönen Riss. Am Stand merken wir: die Haken hier sind blau, wir sind in der Via Hitsch - drei Routen weiter links. Wie wir zwei Routen kreuzen konnten, ist uns schleierhaft, eine einzige wäre irgendwie noch logisch, die kam auch links von uns rauf, aber wo die zweite herkam? Egal, die letzte Seillänge führt in schöner, klassischer Kletterei durch Verschneidungen, Risse und eine Art Kamin zum Top. 

Etwas gesuchte, aber schöne Kletterei.

Dort angekommen das Resümé: die schönste Länge bisher. Also abseilen und runter. Das geht auch ganz flugs, unten angekommen beginnt es zu nieseln. Komisch, war nicht angesagt, aber nicht schlimm, um uns herum schaut immer wieder blauer Himmel durch und dicht sind die Wolken auch nicht. Also absteigen.

Es zieht zu am Sustenpass.

Das ist jetzt allerdings wieder etwas doofer, denn der Schnee trägt nun gar nicht mehr und so kommt es nicht selten vor, dass wir im Blockwerk bis zur Hüfte einbrechen. Irgendwann gehen die Strapazen auch vorbei und am Auto wird erstmal alles ausgezogen, was nicht halbwegs trocken ist - kompletter Outfitwechsel also. Wir fahren runter zur Tällibahn, wo wir über Nacht bleiben und am nächsten Morgen zur Gelmerbahn an der Grimselpassstraße fahren. 

Die Wendenstöcke und der Tällistock in der Bildmitte

Da Lissi Übung im Selbstabsichern möchte, hab ich die Fair Hands Line vorgeschlagen. Die ist zwar nicht ohne, aber es geht sich eigentlich ganz gut auf, dass die doofen Seillängen alle an mich gehen und die dazwischen an Lissi. Sie bekommt in der ersten Seillänge direkt mal den Fünfer aufgezeigt - ordentlich hart bewertete Einzelstelle, danach noch ein bisschen Geplänkel, dann schon Stand. Ich klettere die zweite Seillänge an und merke, dass ich mir wesentlich schwerer tu, als ich das vor drei Jahren habe. Der erste Haken der Länge steckt nach einem schweren Plattenzug, den ich doof anklettere und mit einem leichten Fußtremor zusammen dann auch tatsächlich vermassle. Also Abgang in den Stand, ich hänge kopfüber etwas unterhalb von Lissi. Wieder oben am Stand baut sie kurz den durch meinen Abgang auf der anderen Seite verdrehten Halbmastwurf wieder um und ich starte erneut in die Seillänge, klettere die Stelle wesentlich besser an und schon ist sie vorbei, diesmal ziemlich solide. Ärgerlich, ich kann sowas eigentlich sicher klettern! Der Rest der Seillänge ist auch plattiger Natur, aber gut gesichert beziehungsweise gut absicherbar. Allerdings schlägt die Länge mit 45 Metern gut zu Buche. Am Stand merke ich, dass ich wohl eine Toilette benötige, aber vielleicht vergeht das ja auch wieder. Als Lissi nach einiger Zeit über der Kante unterhalb erscheint, schaut sie ordentlich fertig aus, mein Sturz hat sie mehr mitgenommen als mich und selbst im Nachstieg für etwas Angst gesorgt. Wir warten kurz, wir eruieren den Weiterweg und ich frage, ob das geht und wenn nein, dann könnte ich sie überall ablassen. Aber sie klettert überzeugt los und klettert die Seillänge solide zum Stand, trotz der weiten Hakenabstände, die mit Cams zu entschärfen sind. Während des Sicherns merke ich allerdings, dass heute wohl wieder ein Tag ist, an dem ich es nur sehr schwer schaffe, meinen Körper im Zaum zu halten. Ich steige nach - herrlich diese Seillänge durch Verschneidungen! - und am Stand angekommen berichte ich von meinem Problem. Die Entscheidung steht schnell: Wir seilen ab. Mit zwei Manövern gelangen wir an den Wandfuß, wo ich direkt eine geeignete Stelle suche. 
Danach üben wir noch ein wenig Standplatzbau mit mobilen Sicherungen am Wandfuß, ehe wir absteigen. Am Fluss wird etwas gespült und gegessen, ehe wir auf den Stellplatz fahren und uns dort niederlassen. Je nach meinen Innereien könnten wir am nächsten Tag entweder nochmal einsteigen oder Sportklettern. Dooferweise habe ich meinen Kletterführer fürs Berner Oberland nicht mit, daher erst einmal Topos für mögliche Sportklettergebiete einholen. Ein paar Toilettenbesuche später steht fest: Sportklettern wird wohl die vernünftigste Option sein. Also fahren wir am nächsten Tag Richtung Meiringen, wo an einem gut sonnenexponierten Felsen gemovt wird. Wir sind etwas verwirrt mit den Routen, da der Fels nicht allzu übersichtlich ist. Ob die erste Route jetzt 6a oder 6c war - ich weiß es nicht, die Locals neben uns meinten letzteres. Falls dem so wäre, ist mir der Stil wirklich reingelaufen, denn der Onsight war nicht allzu schwer erkämpft. Ich vermute eher, dass wir in einer 6a waren, aber das kommt auf dem Topo wieder nicht hin. Allerdings waren die anderen 6b und 6b+ so schwer, dass ich mir wiederum sicher bin, dass das die 6a gewesen sein muss. Naja, egal. Laune macht's trotzdem, aber ich bekomme leider nicht so viel gerissen, die Kletterei hier ist ordentlich fingerlastig. Kalk nunmal, mit coolen schwarzen Knobs in kompakten Felspartien, die scharf, aber klein sind und als Leisten ordentlich weggezogen werden wollen. Nicht mein Stil, diese kraftvolle Kletterei, ich bin eben gerade nicht stark. Am Abend versuchen wir, an einen See zu fahren, der dann allerdings irgendwie im Naturschutzgebiet liegt und nicht erreichbar ist, auf der Karte sah er aber schön aus. Ein bisschen Abenteuer gab's trotzdem: Auf dem Weg waren wir auf der Straße, über die von einem Schießstand am Schützenhaus auf Ziele auf der anderen Talseite geschossen wurden. Ordentlich laut! Auf einem offiziellen Stellplatz in der Nähe nächtigen wir. Am nächsten Tag dann fahren wir nach Interlaken, wo wir weiter Sportklettern wollen. Der Sektor Neuhaus schaut gut aus, und so ist es auch: perfekte Sportkletterei mit schönen Routen in allen Längen und Graden, die wir so klettern wollen. Und vom Top lässt sich auch die Berner Prominenz begutachten, die bereits ein weißes Kleid trägt. Am Nachmittag machen wir uns auf den Heimweg, auf dem nach 15 Minuten Regen das Urlaubsende einleitet.

Winter an der Berner Prominenz.


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