Rezension zum Dokumentarfilm "Blinder Fleck" von Regisseurin Liz Wieskerstrauch
Am 27.06.2025 fand die Premiere des Dokumentarfilms "Blinder Fleck" von Regisseurin Liz Wieskerstrauch im Freiburg Friedrichsbau statt. Eine Freundin, die selbst von organisierter sexueller Gewalt und komplexen Traumafolgestörungen betroffen ist, hatte mich auf die Idee gebracht, den Film zu sehen. Außerdem lockte eine Diskussionsrunde mit der Regisseurin.
Inhalt
Inhaltlich macht der Film zunächst gute und wichtige Punkte zu sexueller Gewalt und ritueller Gewalt allgemein. Es kommen viele Betroffene zu Wort, die ihre Geschichten erzählen. Wer sich bisher noch wenig mit den Abgründen menschlichen Handelns auseinandergesetzt haben sollte, wird mancher Erzählung vermutlich mit einer Art "darf nicht sein - kann nicht sein"-Reaktion begegnen, denn selbst für mich als inzwischen doch recht unerschrockenen Menschen waren manche Erzählungen menschlicher Grausamkeiten nicht leicht zu ertragen. Den Opfern wird viel Raum gegeben, sie erzählen wie es ihnen möglich ist über die Strukturen, in denen die schrecklichen Missbräuche geschehen konnten und wie sie überhaupt in diese Situationen gebracht wurden. Recht bald wird auch eine mögliche Traumafolgestörung eingeführt, die DIS - eine dissoziative Identitätsstörung. Allerdings ist das Feld dieser möglichen Traumafolge wesentlich größer als im Film gezeigt. Nur wenige Opfer sexueller Gewalt haben eine geteilte Persönlichkeit als Schutzmechanismus entwickelt. Viele Menschen mit erlebtem Traume hingegen entwickeln weniger starke Dissoziationen: Gefühle und Wahrnehmung setzen z.B. kurzzeitig aus, oder Menschen werden nicht mehr ansprechbar. Diese häufigeren Ausprägungen bekommen im Film keinen Raum. Allgemein macht der Film aber die wichtige Perspektive der Opfer zugänglich.
Häufig erwähnt wird der religiöse oder kirchliche Kontext, in dem die Missbräuche stattfanden oder in denen die Täter organisiert waren.
Im späteren Verlauf kommen auch Ermittler*innen und Anwält*innen zu Wort. Sie zeigen, dass die Aufklärung häufig schwierig bis unmöglich ist, da keinerlei Beweismaterial gefunden werden kann. Außerdem thematisiert wird die systematische Diskreditierung der Missbrauchsopfer, sollte die Anklage fallen gelassen werden.
In diesem Kontext verpasst der Film mehrere wichtige Punkte:
Dass kein Beweismaterial existiert, führt dazu, dass Anklagen fallen gelassen werden, was wiederum dazu führen kann, dass keine Beweismittel oder vergleichbare Quellen, DOkumente oder ähnliche Beweise für zukünftige Prozesse entstehen. Quellenkritik wird leider an keiner einzigen Stelle im Film betrieben.
Außerdem wird zwar ein Thema dauerhaft angedeutet, aber nie ausformuliert: Es ist in jedem der gezeigten Fälle von Tätern die Rede. Dass die rituelle Gewalt also zumeist eine Form patriarchaler Gewalt ist, wird schlicht nicht thematisiert. Auch dass in der Rechtsprechung häufig Männer sitzen, die dadurch nicht den Zugang zum Thema haben können wie FLINTA und so die Öffentlichkeit weiter durch das patriarchale Narrativ geprägt wird, wird an keiner einzigen Stelle erwähnt.
Diskussion
Die Diskussion im Anschluss sollte jedoch zeigen, in welcher Blase wir gelandet sind: die erste Wortmeldung kam von einer Therapeutin (?), die sich auf 28 Jahre Berufserfahrung berief. Ihrer Ansicht nach werden Frauen in den Fällen gezielt entmachtet und lebenslang ohnmächtig gemacht. Meine Bekannte widersprach zutiefst, da Menschen mit Traumaerfahrungen aus ihrer Sicht schlicht mit zu den stärksten Persönlichkeiten überhaupt gehörten. Ihren Beitrag beendete die Therapeutin damit, dass die Öffentlichkeit nichts von der rituellen Gewalt mitbekommen würde, weil Eliten aus Politik, Rechtsprechung und Co. daran beteiligt wären. Diese Aussage konnte nicht aus den Punkten des Films, noch aus anderen Informationen gestützt werden. Die Moderation ließ diese Aussage ohne Einordnung stehen.
Einige der anwesenden Therapeut*innen mussten jedoch bei ihren Wortmeldungen von den Opfern ablenken und ihre Arbeit und Tun in den Vordergrund stellen, was einen starken Beigeschmack hatte. Viele von ihnen zeigten sich sehr getroffen von einem "diffamierenden" Beitrag des ZDF Magazin Royales, welches in einem Beitrag manche Therapeut*innen stark diffamiert und Opfer ritueller Gewalt diskreditierten. Ohne weiter auf den Beitrag einzugehen. Ich habe im Nachhinein die Folge des Magazins angesehen, die inzwischen nur noch auf YouTube zu finden ist. Jan Böhmermann setzt sich in der Folge vom 08. September 2023 mit dem Titel Rituelle Gewalt, Satanic Panic, #HimmelOderHölle mit der äußerst umstrittenen Therapeutin Michaela Huber auseinander. Der Stil der Sendung ist sendungstypisch stark überzeichnend. Bei der Sendung lassen sich nur wenige Fehler finden, denn das eigentliche Thema ist die Auseinandersetzung mit schwierigen Therapieformen und wie rituelle Gewalt von umstrittenen Personen vereinnahmt wird, um ihre Praxis zu verbreiten. Meine Begleitung kannte die Huberschen Positionen bereits und wir konnten beim Schauen der Sendung keine allgemeinen, die Psychotherapeut*innenschaft betreffende Diffamierung finden, genausowenig gegenübern Opfern ritueller Gewalt. Wer sich die Sendung geben möge, folgt der Link am Ende dieses Eintrags. Als Hinweis: Im Laufe der Sendung gerne auf den benutzten Wortlaut achten, das sollte vieles klarmachen.
Einige der anwesenden Therapeut*innen mussten jedoch bei ihren Wortmeldungen von den Opfern ablenken und ihre Arbeit und Tun in den Vordergrund stellen, was einen starken Beigeschmack hatte. Viele von ihnen zeigten sich sehr getroffen von einem "diffamierenden" Beitrag des ZDF Magazin Royales, welches in einem Beitrag manche Therapeut*innen stark diffamiert und Opfer ritueller Gewalt diskreditierten. Ohne weiter auf den Beitrag einzugehen. Ich habe im Nachhinein die Folge des Magazins angesehen, die inzwischen nur noch auf YouTube zu finden ist. Jan Böhmermann setzt sich in der Folge vom 08. September 2023 mit dem Titel Rituelle Gewalt, Satanic Panic, #HimmelOderHölle mit der äußerst umstrittenen Therapeutin Michaela Huber auseinander. Der Stil der Sendung ist sendungstypisch stark überzeichnend. Bei der Sendung lassen sich nur wenige Fehler finden, denn das eigentliche Thema ist die Auseinandersetzung mit schwierigen Therapieformen und wie rituelle Gewalt von umstrittenen Personen vereinnahmt wird, um ihre Praxis zu verbreiten. Meine Begleitung kannte die Huberschen Positionen bereits und wir konnten beim Schauen der Sendung keine allgemeinen, die Psychotherapeut*innenschaft betreffende Diffamierung finden, genausowenig gegenübern Opfern ritueller Gewalt. Wer sich die Sendung geben möge, folgt der Link am Ende dieses Eintrags. Als Hinweis: Im Laufe der Sendung gerne auf den benutzten Wortlaut achten, das sollte vieles klarmachen.
Recht am Anfang hatte ich mich auch gemeldet. Ich wollte fragen, ob es einen spezifischen Grund dafür gegeben habe, das trotz dauerhafter Nennung der Täter das Thema patriarchale Gewalt nie erwähnt wurde. Ob damit ein breiteres Publikum zu erreichen gehofft wurde? Die Antwort der Regisseurin war äußerst interessant: Ja, es gebe eine Schwachstelle, dass keine Männer als Opfer im Film aufgetreten wären. Zuallererst einmal scheint diese Antwort zu implizieren, dass sich die Regisseurin nicht mit dem Thema aus dieser Richtung beschäftigt haben könnte, was allein bereits ein Fehler wäre. Die Regisseurin schien zudem nicht verstanden zu haben, dass patriarchale Gewalt auch Männer treffen kann, genauso wenig wie sämtliche Punkte, die im Film zwar angedeutet werden, aber nie ausgesprochen werden zum Thema. Dass im weiteren Verlauf keinerlei Diskussion hierzu stattfand, hat mich - gelinde gesagt - äußerst schockiert. Die gezeigten Opfer waren allesamt FLINTA, als Täter wurde nur von Männern berichtet. Die Diskreditierung von Opfern sexueller Gewalt findet fast immer im Kontext statt, dass Männer Frauen die Deutungshoheit nehmen. Inwiefern all diese Themen - im Film alle thematisiert! - aber nicht einen Schritt weitergehen, ist eine sehr große verpasste Chance.
Zur Einordnung noch: Das Publikum bestand zu einem äußerst großen Teil aus FLINTA, die wenigen Männer im Saal waren alle Ü60 oder Ü70. Dass in einem solchen Saal ausgerechnet ich, ein 25-jähriger cis-Mann, dieses Thema in die Diskussionsrunde bringen sollte, ist reinste Realsatire.
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