Stau im Jura

Ich frage mich ja immer, ob ich überhaupt etwas schreiben soll, wenn ich 'was nicht ganz gemacht hab'. Diese Frage habe ich mir jetzt erst einmal mit "ja" beantwortet, schlichtweg um ein Umkehren und das "Scheitern" am Berg mit zu kommunizieren und damit hoffentlich zu normalisieren. Und in diesem Fall auch, um für ein Mehr an Rücksicht am Berg zu plädieren. Also hier ein kleiner Bericht (vielleicht auch mit kleiner Ansage an den Zeitgeist?) über unseren Tag an der Balmflue.

Die Balmflue mit ihren grauen Kalkfelsen, der Südgrat im Profil

Marcel und ich starten entspannt gegen 8:30h am Sonntagmorgen. Dass der Südgrat der Balmflue ordentlich voll werden könnte, ist uns bewusst und wir sind auch nicht auf eine Speedbegehung aus. Zumal Marcel das letzte Mal vor ein paar Jahren am Fels war. Gegen 9 Uhr stehen wir am Einstieg, eine Seilschaft steigt gerade ein. Also warten, bis die durch sind. 
Ein motivierter Sicherer ist die halbe Miete. Außerdem: der Andrang ist zu erahnen.

Ich wollte die erste Seillänge aufgrund der einfachen Schwierigkeit und des Gehgeländes danach in Zustiegsschuhen klettern, also los geht's. Am ersten Haken wird die Geschichte kurz aufgrund der vielen Begehungen mit dreckigen Schuhen ordentlich rutschig, mir kommt der Fuß und ich mache partout den Abgang. Aber ich habe gemerkt, dass die Sache nicht schwer ist und eben nur etwas diffiziler angegangen werden möchte, um nicht auf den rutschigen, aber großen Tritten den Abgang zu machen. Und zack, schon bin ich drüber und der Rest der ersten Länge ist sehr entspannt und auch gar nicht mehr abgegriffen bzw. abgetritten. Aber dafür ordentlich kalt, im noch-Schatten. Nach kurzem Gehgelände folgt eine erste 5c-Länge, für die ich mir dann die Kletterschuhe anziehe. Wo genau das jetzt 5c sein soll, ist mir zwar nicht klar, aber naja. 
Sieht grüner aus, als es ist. Außerdem: unrepräsentativer Abstand der nächsten Seilschaft.

Stand mache ich an einem Baum, der eigentlich nur ein Zwischenstand ist. Ein Fehler, denn dadurch fühlen sich direkt mal die zwei Seilschaften hinter uns versucht, einen Überholvorgang zu starten und die Seillänge durchzuklettern. Naja, hier erstmal selbst schuld, schätze ich. Nachdem Marcel oben ist und der Bergführer flugs hochgerannt ist, klettere ich dem langsameren Nachsteiger hinterher, allerdings so, dass er ganz stressfrei klettern kann. Das kann ich nicht über den Vorsteiger der Seilschaft hinter Marcel sagen, nur selten ist da ein Meter zwischen seinen Füßen und dem Kopf des Verfolgers. Verunsichert natürlich ein wenig, so zu wissen, dass selbst im Nachstieg ein eng gesicherter Sturz die verfolgende Person ungut beeinflussen könnte. Auch wenn das größtenteils selbst verschuldet wäre.
 
Auf dem Köpfl am Stand nach Seillänge 2/3.

Da kommt er um die Kante.

Die nächste Länge ist mehr Gehgelände mit kurzer Abkletterstelle, ehe am Beginn eines Drahtseils der Nachsteiger am besten nachgeholt wird. Dann geht es klettersteigmäßig weiter, ein Adjust als Selbstsicherung im Draht, plötzlich an aalglatter, überhängender Wand mit doch ein wenig Luft unter den Sohlen. Hier wird ein paar Meter gequert, der Fels ist teils vom Drahtseil glatt gescheuert und hat Marmoroptik und -haptik. Am Ende des Drahtseils mache ich Stand und hole Marcel nach.

Der Klettersteig über diese Wand hat einen Grund.

Da der nächste Stand nur einen kurzen Aufschwung weiter ist, geht er die Seillänge vor und holt mich nach. Wir wechseln fix und ich steige in die folgende Länge ein, die nun wieder anregende Kletterei bietet. Noch bevor Marcel nachkommt, entscheidet der Schweizer sich, nun auch weiterzuklettern und den Stand, den ich an einem Baum gebaut habe, zu überspringen. Führt dazu, dass er einige seiner Exen in unsere hängt und über und unter unserem Seil hindurchsteigt. Da Marcel früher anfängt, zu klettern, als sein Nachsteiger, gibt's nun zwei tolle Folgen: Zum Einen kann Marcel einige der Exen nur aushängen, wenn er deren Exen kurz aushängt und wieder einhängt (was ja völlig okay ist, sobald eine höhere Exe eingehängt ist) und zum Zweiten - wesentlich nerviger - muss Marcel jetzt zweimal um das Seil der anderen Seilschaft herum, während der Kletterei und während deren Seil gespannt ist. Mit Rucksack eine nicht ganz schnell und einfach zu erledigende Aufgabe. Ich ärgere mich, schließlich bringt es hier keinem etwas, Stände zu überspringen, da danach wieder auf andere Leute aufgelaufen wird. Und dass an einem Sonntag an der längsten Jurakletterei einfach viel los sein wird und mensch sich deswegen auch darauf einlassen könnte, einfach von Stand zu Stand zu sichern, zu genießen und Rücksicht zu nehmen, ist eigentlich nicht viel verkangt, zumal wir uns nicht in hochalpinem Gelände befinden, in dem Schnelligkeit ein ordentliches Plus an Sicherheit mit sich bringt. Aber naja, weiter im Text.

Wieder flacher und ein paar Bäume

Danke, Autofokus! Außerdem: das zu querende Seil der anderen Seilschaft.

Vom Baum aus laufe ich weiter, eine Querung - eher eine Gehpassage - führt zu einem Stand einer Variante. Ich mache Stand, da der darüberliegende Stand schon mit eineinhalb Seilschaften belegt ist. Marcel kommt nach. Jetzt entscheiden sich zwei weitere Seilschaften, auf den Stau vor uns aufzulaufen und unseren Stand zu überspringen. Wir merken, dass hier eine Pause unser Nervenkostüm im Zaum halten könnte und den anderen Seilschaften auch entspannter ermöglicht, zu überholen. Nachdem drei Seilschaften - natürlich teils gleichzeitig für die extra Portion Chaos - vorbeigezogen sind, merken wir: Wir sollten uns eventuell auch wieder einreihen, sonst sitzen wir hier noch ewig dumm rum. Also weiter. Die Seillänge ist sehr kurz. Die nächste Seillänge führt ein doch nicht flaches Risssystem hinauf, sehr schöne und anregende Kletterei - mit wunderschönen Rissen, in denen ich meine Cams neben Haken lege, damit sie auch mal genutzt werden und nicht umsonst mitgeschleppt wurden. Hiernch führt die Route auf flachem Felskopf zu einem Haken auf der linken Gratseite, der einen Quergang einleitet.

Wunderschöner, wasserzerfressener Kalk.

Vor dem Schritt dort rein schaut die Sache irgendwie falsch aus, aber dann befindet sich doch ein breites Band für die Füße darunter und ich würde es nichtmal als Kletterei zu beschreiben. Nach dem Quergang gehe ich in der Rinne weiter, weil ich das Topo entsprechend interpretiert hatte. Aber nach ein wenig Kraxelei in erdigem, nicht ganz festen Fels, bekomme ich von zwei Kletternden gesagt, dass die Kletterei weiter unten weitergehn würde. Also flugs abgestiegen und dorthin. An einem Bohrhaken möchte ich Stand beziehen, um Marcel nachzuholen, aber alle Cams, die hier noch dazu gehen würden, hat Marcel noch. Erst einige Minuten später fallen mir zwei Bohrhaken weiter rechts auf, vor denen ich die ganze Zeit stand und sie nicht im Blick hatte. Also Stand gebaut und Marcel geholt. Ihm graut es ein wenig vor dem nächsten Quergang, da er da auch im Nachstieg zwischendrin größeres Sturzpotenzial hätte als in einer gerade nach oben verlaufenden Seillänge. Die Querung ist zwar nass, aber: supereinfach, da sich überall riesige Tritte auftun. Irgendwann sehe ich den letzten Haken im Quergang, hänge ihn ein und klettere den Bauch an. Puh, die Griffe sind zwar durchgehend gut, aber das ist doch ordentlich kräftig. Noch ein paar Züge, aber dann klettere ich wieder ab, das hier ist keine 5c mehr. Links ums Eck geht es wesentlich einfacher, Bierhenkel in der Hand und Riesentritte zu treten. Schön. Schon bin ich auf der Platte der Crux etabliert, die von Weitem doch steil und schwer aussah, nun aber wesentlich flacher ist als geahnt. In der Verschneidung kommt dann der Crux-Zug, der ist aber nur einer und dann geht's weiter zu einem Baum. Dort baue ich Stand, Marcel kommt nach.

Blick in den Quergang.

Wir befinden uns an der Stelle, die als Fluchtmöglichkeit angegeben ist. Etwas über Halbzeit. Marcel hat gut Körner in der Seillänge gelassen und ist sich unsicher, wie realistisch weitere 5c-Längen - noch dazu weiter oben - sind. Wir setzen uns an eine schöne Stelle und beobachten Eidechsen, während eine Entscheidung gefällt wird. Es kommen immer noch weitere Seilschaften. Irgendwann dannfällt die Entscheidung: genug! Finde ich leider nicht schade, denn so war es einfach nur stressig.
Über eine Rinne steigen wir zuerst ab, bis an deren Rand über eine Art Rücken ein großer Baum erreicht wird. Hier wird die Rinne kurz etwas steiler und ist auch mit einigen großen losen Blöcken und Ästen bestückt, also richte ich kurz einen Abseiler ein. 25 Meter weiter unten stehe ich in bester Gärtner-Erde: fluffig und weich und leicht. So macht das Absteigen Spaß! Fersen in die Erde und einfach geradeaus runter, wie im Schotter, nur wesentlich berechenbarer und gleichmäßiger! Bald stehen wir wieder am Einstieg und  laufen über den Steig zu einer der Leitern, die wir im Zustieg schon überquerten und weiter zum Auto. Dort grüßt ein Alpenpanorama, wie es nur im Buche steht.
Nächstes Mal an einem Wochentag!

li. nach re.: Rosenhorn (3689m), Schreckhorn (4078m), Finsteraarhorn (4274m), Grosses Fiescherhorn (4048m), Eiger (3970m), Mönch (4107m), Jungfrau (4158m), am rechten Bildrand dann Morgenhorn (3627m) und Blüemlisalphorn (3663m). Um mal nur die "wichtigsten" Gestalten zu nennen.

Facts: Balmflue, Südgrat
Länge: 450m
Erstbegehung: David, Studer 1969-1973
Schwierigkeiten: 5c+
Absicherung: Zwischenhaken gebohrt, Stände entweder an zwei Bohrhaken, Muniringen oder mit Ketten verbundenen Haken.
Material: 10 Exen, eventuell Cams und Keile (wer sich wohlfühlt, wird nirgends etwas benötigen
Fazit: Meine Erwartungen waren niedrig, wurden aber übertroffen. Die Kletterei ist in vielen Seillängen erstaunlich anregend und schön. Klar, Gehgelände hat es doch einiges und auch leichte Längen, aber so etwas ist im Kalk immer zu erwarten. Großes Aber: Der Andrang, auch wenn er erwartet war, kombiniert mit dem Verhalten der Leute. Macht sicher unter der Woche sehr viel mehr Spaß. 


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