Grands Montets Ridge / Aiguille Carrée - Frendo-Ravanel TD 4+

 Nach turbulenten Tagen und Wochen ist schließlich wieder Zeit für eine zünftige Unternehmung, und dass Leon auch Zeit hat, passt da gut rein. Das Ziel ist schnell auserkoren: Chamonix. Die letzten Wochen kein Niederschlag und halbwegs Sonne und wolkenlose Nächte sollten die Bedingungen dort oben hervorragend gemacht haben. Freitagmorgen geht die Fahrt gen Frankreich los.


Bereits auf der Fahrt durch die französische Schweiz - insbesondere um Martigny - ist die Stimmung bereits sehr herbstlich, die weinbewachsenen Hänge bieten eine farbliche Palette, die einem Farbmalkasten Konkurrenz macht. Am Parkplatz in Argientiere sieht die Sache nicht anders aus - nur über den bunten Wald gesellen sich auch die Rot- und Brauntöne des Chamonix-Granits sowie das Weiß, Blau und Grau der Eismassen der Gletscherriesen, die hier bis zu 3000 Meter über dem Talboden aufragen. Bald sind wir auch fertig mit Packen und brechen auf, sind es doch über 1000m bis zum Gletscher zu bewältigen. 
Alles ready und gepackt!

unser Lager I, überhalb der Glacier du Rognon mit der Nordwand der Aiguille Verte (4122m) und der Grands Montets Ridge.

Zuerst geht die Geschichte steil über die Schotterstraßen der Skipisten der momentan im Bau befindlichen Grands-Montets-Bahn, später dann endlich über Wanderwege zum Refuge du Rognon. Eine kurze Pause - zum letzten Mal für die nächsten Tage in der Sonne - später geht's weiter zur Randmoräne des Glacier d'Argentiere. Bald führt der Weg auf den Gletscher. Hier unten im Tal ist der noch nicht steil und trägt auf der Oberfläche viel Stein und Schutt. Dementsprechend viel Reibung hat das Eis, was erlaubt, hier mit etwas Umsicht noch auf Steigeisen zu verzichten und mit den Halbschuhe weiterzugehen. Erst ist das Eis noch durchgehend, später dann wird die Geschichte aber immer zerklüfteter und wir müssen immer mehr nach gangbaren Wegen durch das Labyrinth suchen. Irgendwann dann weichen wir in den Fels seitlich aus, über einen Kamin - mit Rucksack werden solche Sachen dann auch immer interessanter als ohne - geht es ein paar Stockwerke höher, um dann wieder aufs Eis zu queren. Schließlich kommen wir an unserem Zeltplatz an, wo wir Lager beziehen und es auch bald dunkel wird. Schließlich verziehen wir uns ins Zelt. Für den nächsten Tag wird noch fix die Frendo-Ravanel an der Aiguille Carrée ausgewählt und dann schlafen wir auch schon. In meinem Fall versuchen es zumindest, ich trage wohl eine Erkältung mit mir herum. Am nächsten Morgen brechen wir vor Sonnenaufgang auf und nehmen uns dem Blankeis, welches auf den Glacier du Rognon führt, an.  Daraufhin scheint eine harte Grenze zu verlaufen, unterhalb der kein Schnee liegt, oberhalb aber 20 bis 30cm. In Kombination mit einigen halbverdeckten Spalten führt das dazu, dass wir uns in Gletscherseilschaft anseilen und weiter durch den schroffen Gletscherbruch gehen. Der wird auch nicht besser, gegen Ende hin sind wir sogar häufiger gezwungen, bis zu 200m seitlich auszuweichen und geeignete Schneebrücken oder schmale Stellen zu finden. Nach knapp unter zwei Stunden stehen wir unter den Wänden, circa 550 Höhenmeter über unserem Zeltplatz. Beim Blick zurück würde kein Mensch vermuten, dass ein halbwegs gangbarer Weg durch das Spaltenlabyrinth führen könnte.Wir überlegen uns, noch am Abend unser Lager hier hoch zu verlagern, womit wir uns den Zustieg zur Nordwand der Aiguille Verte um 90 Minuten verkürzen würden. 

Das Spaltenlabyrinth auf dem Glacier du Rognon, die Spitze des Mont Dolent (3820m), auf der die italienische, schweizerische und französische Grenze zusammentreffen, im Morgenlicht.


Aber zuerst steht unsere Route hier an. Der Bergschrund direkt unterhalb klafft ein wenig offen, aber zwischen Verte und Carrée ist er gefüllt mit Eis, was uns eine entspannte Passage ermöglicht. Jetzt nur noch dort rüberqueren und dann kann's auch schon losgehen. Bei durchschnittlich 50 bis 55° im plastischen Schnee geht die Zeit und auch Strecke schnell vorüber und bald stehen wir vor einem ersten kurzen Aufschwung in rund 80° Snice (Schneeeis). Da der nur kurz ist, nicht ohne größerem Zeitaufwand absicherbar wäre und wir beide so im Flow sind und uns wohlfühlen, klettern wir vorerst ohne Seil weiter. Wir passieren den ein oder anderen Abseilstand im Fels, ehe wir vor einem weiteren Steilaufschwung - diesmal tatsächlich im Eis - Stand beziehen. Leon legt los, schaut nicht ganz easy aus. Im Nachstieg zeigt sich auch wieso: Eis entweder stahlhart oder vom Typ Schweißer Käse oder gestapelter Schnee. Aber die Länge geht auch schnell zuende und ich stapfe zum Seiltransport durch flacheres Schneegelände. Ein wenig zu flach, denn das Gelände erlaubt hier Schneeansammlungen, die zu spuren einfach unangenehm. Vor dem nächsten Eisaufschwung versuche ich Stand zu beziehen, aber es ergibt sich nicht wirklich etwas, bevor ich nicht mit den fast kompletten 60 Metern im Eis selbst bin. Dort lassen sich dann schließlich zwei vernünftige, durchgehend kernige Schrauben drehen. Leider nur direkt in Schusslinie der nächsten Seillänge. Außerhalb ist nicht genug Eis oder unvereister Fels mit Rissen. 

Die Wand, recht zentral unsere Route durch ein Couloir, das Top gerade so außerhalb der Sonne.

 

50° steiles Snice, im Hintergrund die Aiguille du Chardonnet (3824m) und die Aiguille d'Argentière (3898m)

 

Es wird steiler, aber immer noch beste Verhältnisse.

Die Folgen der zwingend doofen Wahl des Standplatzes bekomme ich während Leons nächstem Lead zu spüren: Immer wieder wirft das spröde Eis mit faust- bis kopfgroßen Stücken. Die Länge geht bald ums Eck, allerdings kanalisiert die Rinne alles zentral in meine Richtung. Als das Seil aus ist, beginne ich nachzusteigen. Schöne Kletterei, aber in sprödem Eis! Leon konnte aber im Fels für passable Absicherung sorgen. Nach ungefähr 100 Metern gelange ich zu Leon an den Stand, wir befinden uns am Top der Kletterei, ab hier wären es nur noch 200 Meter in Schnee und sehr leichtem und wenig geneigten Mixedgelände. Ich klettere noch kurz zu einem sehr schrägen Stand (leider kein Bild gemacht), an dem ich dreimal überlegen musste, wo ich den Zentralpunkt aufbaue, bei einem Wirrwar aus sechs Schliungen und Schnüren nicht einfach. Wir verbessern den Stand noch ein wenig und seilen ab.

Die letzten Meter der Route, ehe es im unspannenden flachen Mixedgelände weitergehen würde.

Ein Abseiler im Schneefeld findet an einzelnem Messerhaken statt, der immerhin auf Drehmoment und entgegen Zugrichtung geschlagen war. Mit einem letzten Abseiler gelangen wir über den Bergschrund. Unten angekommen deponieren wir den Großteil unseres Materials und gehen mit leeren Rucksäcken und Gletscherequipment ausgestattet den Weg zum Lager an. Die letzten steilen 100m Blankeis präparieren wir mit Fixseilen, um schnell abseilen und später mit einer Trax schnell wieder aufsteigen zu können. Dabei löst sich einer meiner Stöcke zwischen meinem Rucksack und mir und landet in einer Längsspalte - unfreiwillige Umweltverschmutzung. Am Lager filtern wir kurz unser Wasser neu und bauen alles ab, um nicht allzu spät wieder oben zu sein. Am Fixseil gehen die ersten steilen Meter auch schnell zuende, im Gletscherbecken oben seilen wir uns wieder an und folgen unseren Spuren durch das Labyrinth. Ich bin mit meiner Erkältung irgendwie recht fertig, gegen Ende zieht sich die Geschichte ordentlich. Alle paar Schritte muss ich schnäuzen, um meine Atemwege frei zu bekommen. 

Am Zeltplatz versuchen wir, das Zelt irgendwie im Schnee zu verankern, irgendwann klappt das dann mithilfe von Sanduhren im komprimierten Schnee. Die lassen sich zwar von Hand aus der richtigen Richtung einfach herausziehen, aber das Zelt spannt eben nicht in die richtige Richtung ab. Ein Eisgerät als Hintersicherung und das passt. Der Wecker wird auf 4 Uhr gestellt und wir legen uns schlafen. Wird diese Nacht bei mir leider auch nicht wirklich etwas, ich bin ab 2 Uhr wach und versuche, so leise wie möglich zu schnäuzen und meine Nase frei zu bekommen. Klappt nur nicht. Um 4 wacht Leon dann auf, wir entscheiden uns gegen die Verte. Um 6 treffe ich schweren Herzens die Entscheidung, heute außer dem Abstieg nichts mehr zu machen. Leon gönnt sich noch die Chevalier, ein Couloir durchgehend im 50-60°-Gelände. Nach zwei Stunden ist er von seinem RUndtrip zurück und wir packen zusammen und machen uns an den Abstieg. Mit den 20kg auf meinem Rücken muss ich mich im Abstieg erst arrangieren, bis dahin gibt's eine empirische Prüfreihe zur Herkunft des Begriffs "Rollsplit" und surprise: der rollt. Meine Knie können noch jetzt, über eine Woche später, Lieder davon singen. Die Leute, denen wir entgegenkamen, müssen sich auch gedacht haben: "Was macht der Vogel mit Steigeisen, der kann ja nichtmal richtig laufen?!" Selbst ich selbst hatte das Gefühl, das Gehen verlernt zu haben. Naja. Wir sind unten angekommen und jetzt nur noch motivierter für richtige Klettereien da oben!

Facts: Grands Montets Ridge - Frendo-Ravanel
Länge: 500m
Erstbegehung: S. Frendo, M. Ravanel 17.01.1993
Schwierigkeiten: TD, 4+
Absicherung: Stände teils mit Bohrhaken, sonst Normalhaken und Schlingen. Etwas Reepschnur und Schlingenmaterial sollte ausreichen, um zu verbessern. Sonst Eisausrüstung, Cams und evtl ein kleines Hakensortiment.
Material: 10 Exen, Cams, Eisschrauben, Reepschnüre, evtl kleines Hakensortiment
Fazit: Schöne Kletterei, unter den Bedingungen allerdings wesentlich weniger anspruchsvoll. Wenig bis kein Felskontakt, rein Schnee und Eis. Nette Einkletterei!

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