Kingspitz (2622m) - Steuri, 650m 5c+

Oder: Wieviel Sonne gibt's denn eigentlich in so einer Nordostwand?

Nach wieder einmal vielen Monaten Pause muss ich endlich mal wieder raus, am besten auch gerne etwas herbes. Dass die Bewegung, die mir in letzter Zeit fehlte, in den Bergen durchaus präsent war, zeigten diesmal mehrere große Felsstürze an den Aiguille du Drus bei Chamonix. So geht es am Freitagabend mit Isabel los gen Berner Oberland. 

Die Nordostwand aus dem schönen Ochsental.

Nach knapp drei Stunden Fahrt kommen wir um 22 Uhr am Hotel Rosenlaui an, wo wir unser Auto abstellen und uns bettfertig machen, schließlich wollen wir am nächsten Morgen früh aus den Federn. Um halb fünf, um genau zu sein. Pünktlich klingelt der Wecker am Samstag in der Früh und wir machen uns fertig. Um kurz nach fünf geht es dann auch schon los. Am Eingang der Gletscherschlucht vorbei, über einen guten Weg. Nach kurzer Zeit führt jener Weg durch eine mit Steinmännern nur so überfüllte kleine Ebene. Zu gerne hätte ich hier fotografiert. Aber selbst für die DSLR, die ich mitschleppe, ist es noch zu dunkel. Irgendwann teilt sich der Weg, nach rechts geht es ab ins Tal des Gletscherhubels und dort weiter zur Dossenhütte, wir hingegen zweigen links ab, wo es zur Engelhornhütte gehen soll.

Sonnenaufgang

Ab hier wird fast nur noch traversiert, und so kommen wir nach kaum 65 Minuten an der Hütte an - anstelle der ein bis eineinhalb Stunden, welche in der Führerliteratur angegeben sind, oder den zwei Stunden, die auf Schildern an der Gletscherschlucht stehen. 

Die Engelhornhütte

 Im Westen ist das Scheideggwetterhorn (3360m, mit Schneefeld) zu sehen.

Froh, so effizient gewesen zu sein, setzen wir uns kurz auf die Bänke vor der urigen Hütte. Die junge Hüttenwirtin - eine geniale Verkäuferin - schafft es, uns einen Milchkaffee beziehungsweise bei mir einen Kräutertee an die Frau bzw. den Mann zu bringen. Schlappe neun Franken kostet uns das, dafür gibt es riesige Schüsseln voll mit den warmen Getränken. 
Frisch gestärkt beginnen wir den zweiten Teil des Zustiegs, von der Hütte hinauf ins Ochsental. Das ist kürzer, als es auf der Karte aussieht und so stehen wir bereits nach 20 Minuten unter der Wand. Allerdings beginnt hier die Kletterei noch nicht, zuerst geht es ein paar Hundert Meter nach rechts ansteigend durch den Vorbau. Seilfrei, da nie schwierig und auch nie extrem ausgesetzt. 

Isabel im Vorbau.

Einer der älteren Normalhaken in der Wand.

Naja, irgendwann dann kommt dann auch der tatsächliche Einstieg zur Route. Entlang einer schönen Verschneidung geht es vom mit Muniring ausgestatteten Stand rauf, 5a.

Rückblick auf die erste Seillänge, schöne Kletterei an Verschneidung und Riss.

Die zweite Seillänge ist mit 5b bewertet, Isabel bekommt so einen kleinen Kaltstart in den Vorstieg, aber die Absicherung der Route ist durchwegs als gut bis sehr gut zu bezeichnen und mit ein paar kleineren Keilen und/oder Cams lassen sich viele Stellen auch noch weiter entschärfen. Die Seillänge führt weiter in der Verschneidung, ehe nach links auf eine rissdurchzogene Platte ausgestiegen wird.

Isabel in Seillänge zwei: Verschneidung.

In Seillänge drei darf dann zum ersten Mal ein glatter 6er geklettert werden, der ist ausnahmsweise mal nicht am Haken, kann aber gut abgesichert werden. Kurz rutschig, geht es in einer seichten Verschneidung mit Rissen weiter nach oben, am Ende nach links. An der glatten Stelle bin ich mal kurz abgerutscht, aber wieder auf dem Band darunter zum Stehen gekommen. Hier war die Beliebtheit der Route doch ein wenig zu erkennen. Aber trotzdem geht es gut voran.

Seillänge drei von oben. Und was ist das: Sonne?! In einer Nordostwand?! Dafür habe ich mich nicht angemeldet...

Seillänge vier führt einfach über Verschneidungen nach oben, zum Stand vor der ersten Crux in Seillänge fünf. Die führt, eher klassiker-untypisch, vom Stand direkt durch eine kompakte Wand, ehe dann an zwei Türmchen nach rechts in eine Verschneidung und durch steiles Gelände aus dieser hinaus. Ruhig bleiben und gut stehen und schon ist es geschafft.

Im Quergang zur Crux. Das erste Mal wirklich steileres Gelände.

Nach dieser Crux geht es ein wenig durch undefiniertes Verschneidungsgelände. Der Stand befindet sich eher auf der rechten Seite. Isabel steigt vor und baut einen Stand an zwei guten Blöcken, von wo aus wir den Weiterweg erkunden. Links unten ist ein Stand sichtbar, an dem die Route "Trumpfkönig", 7a, mit der klassischen Nordostwand kreuzt. Also darf ich dorthin. Ein komischer Quergang.
In Seillänge 8 darf Isabel wieder ran, der Quergang nach links zieht weiter. Viele Bohrhaken geben hier auch unsicheren Nachsteigenden Sicherheit. 

Seillänge sieben.

Seillänge acht dann etwas ausgesetzterl, und zum Glück wieder im Schatten!

Der Stand vor der neunten Seillänge ist nicht so schnell auffindbar, also gibt's direkt zwei Seillängen am Stück für Isabel, ca. 65m. Diese lange Länge bringt uns zur wunderschönen zehnten Seillänge, die einem Risssystem folgt. Die Absicherung mit Bohr- und Normalhaken ist hier auch top für 5a, wer sich so im Alpinen wohlfühlt braucht nix dazuzulegen.

Der breite Riss in Seillänge zehn...


... aus einer anderen Perspektive.

In Seillänge elf wartet dann die zweite Crux auf, die in manchen Führern sogar mit 6a+ bewertet ist. Vom Stand weg siehts auch nicht ohne aus, aber wie in der ersten Crux heißt das Wundermittel: Ruhe. So löst sich die kurze Stelle bestens und auch wirklich kraftlos auf. Nach dieser Seillänge binden wir uns aus und steigen seilfrei die breite Rinne hinauf, bis zum Bohrhaken. Dort gucke ich, wie es weitergeht, aber finde nichts und auch keinen wirklich sinnvoll gangbaren Weg. Also wieder runter, die gesamte Schlucht auskundschaften. Findet sich allerdings auch nix, also mal im Netz recherchieren. Ahhh, nach dem Aufschwung rechts raus hätte es kurz abgeklettert gehört. Also wieder retour zum Ort des Erstversuchs, Seil rausgeholt und los. Und in der Tat, nach ein paar Metern abklettern finden sich der erwähnte versteckte NH und sogar davor ein Bohrhaken. Nach rechts geht's weiter rauf in einer Art Verschneidung.

Ums Eck herum schaut die Sache dann doch wieder sinnvoll aus in SL 12.

Isabel steigt über eine schöne Rissverschneidung in Seillänge 13 zum nächsten Stand, in dem ich über eine andere schöne Rissverschneidung zum Stand am Grat komme. Die Aussicht auf einen Katzensprung auf diesem Grat ist jetzt nicht gerade ohne mit so viel Luft vor allem auf der rechten Seite, aber ohne Probleme und ohne Stand bringt sie auch diese Seillänge zuende, nämlich an einer Schlinge um einen Block. Während ihres Vorstiegs schließt ein Münchner Paar zu uns auf, mit denen wir uns später gut unterhaltend den ersten Teil des Abstiegs teilen werden. Irgendwann dann komme ich nach und klettere direkt die letzten Meter weiter zum Gipfel. Dort dann endlich Sonnenbrille aufziehen und kurz Pause machen, denn der Abstieg ist lang.
 
Der Anfang des Endes. Sozusagen. Oder halt Abstieg. Klingt nur nicht so poetisch.

Zuerst wird über den Westgrat abgeklettert (Abseilen möglich, aber im Normalfall deutlich ineffizienter). Irgendwann dann wird nach Norden abgeseilt, ab hier macht es auch wirklich Sinn. Dieser Teil des Abstiegs ist leicht zu finden. Nach einem Mal 50m abseilen steigen wir über steiles felsiges und schottriges Gelände ab, ehe ein paar Mal hintereinander abgeseilt wird. 

Abseilen in Richtung Tal.

So kommen wir in die große Rinne. Hier teilt sich nun der Abstieg: Wer zur Engelhornhütte möchte, wird rechts zum Ochsensattel bergauf steigen, wer zurück nach Rosenlaui möchte, wird die Steige ins Gletscherhubeltal nehmen. Der ist allerdings ordentlich langwierig, schottrig dazu. Isabel mag das Gelände hier nicht, was ich gut nachvollziehen kann, aber runter muss halt irgendwie. Ob der Weg über den Ochsensattel und hinunter ins Ochsental zur Hütte und von dort retour schneller gewesen wäre? Fraglich, aber nicht unwahrscheinlich. Irgendwann aber kommen wir auch auf unserem gewählten Abstiegsweg ins Tal, in dem wir unser Wasser am Bach auffüllen können. Hier sind wir nun zum ersten Mal wieder auf markierten Wegen unterwegs, nämlich auf dem Wanderweg zur beziehungsweise von der Dossenhütte. Auf dem geht es dann Richtung bekanntes Terrain, über das wir dann gegen 21h wieder zum Parkplatz kommen.

Was bleibt: Wissen, dass wir an manchen Stellen hätten gut schneller beziehungsweise effizienter sein können. Und dass der Abstieg eben doch sehr viel länger ist als angegeben. Und ganz viel Motivation für weitere, fette steile Wände. Nur ohne den ewigen Abstieg, wenn möglich?

Facts: Kingspitz, klassische Nordostwand
Länge: 650m
Erstbegehung: Mäusi Lüthi, Hans Haidegger, Hermann Steuri 1938
Schwierigkeiten: 5c+
Absicherung: fast alle Stände mit Muniring plus Bohrhaken, Zwischenhaken sind sinnvoll mit Normalhaken und Bohrhaken saniert. Wer sich wohlfühlt, braucht nur ein paar kleine (Offset-)Keile.
Material: 10 Exen, kleines Sortiment Cams (2 war ab und an in Benutzung), Keile
Fazit: Geniale Wand, 1938 ein wahrer Geniestreich, durch diese Wand einen gangbaren Weg zu finden. Nicht als Trostpreis für die Eiger-Nordwand für Hans Haidegger abzustempeln, definitiv eine große Leistung, nur kennt den Berg halt kaum ein Mensch. 

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