Bestandsaufnahme und Reise nach Vorn

Knapp einen Monat nach Entlassung aus der Klinik möchte ich ein wenig reflektieren, welche Entwicklungen ich bereits hinter mir habe, derzeit im Gange sind oder noch bevorstehen.

In einem Post aus dem letzten Jahr habe ich bereits über meine Geschichte mit psychischer Gesundheit erzählt. Seit der Diagnose meiner bipolaren Störung im Frühjahr 2023 hat sich nämlich einiges getan, unter anderem war ich danach noch zweimal in stationärer Behandlung. Ein mal zur Krisenintervention für sieben Tage im Juli (da war der Blogartikel zwar geschrieben, aber noch nicht veröffentlicht), das andere Mal von Anfang September bis kurz vor Weihnachten. Im letzten Aufenthalt habe ich noch einmal viel über mich und meine Probleme gelernt. Was direkt zum Punkt führt: so ein - oder davon gleich mehrere - Klinikaufenthalt ist nicht gleichzusetzen mit einem Klinikaufenthalt bei organischen Erkrankungen oder Verletzungen, nach denen das Problem im Normalfall nicht mehr besteht. Nein, ein Klinikaufenthalt stellt meist nur den Start eines längeren Prozesses dar. In diesem Prozess geht es darum, zu lernen, wie es sich mit den eigenen Schwierigkeiten am besten lebt. 
In einem Artikel für das Onlinemagazin Common Climber habe ich bereits persönlicher über einige Dinge geschrieben. Dies möchte ich nun auch in deutscher Sprache hier auf meinem Blog tun und etwas mehr den Fokus auf den bereits erwähnten Prozess legen, in meinem bereits erschienenen Artikel waren eher Aufklärung über bipolare Störungen und Copingstrategien (und natürlich Bergsport) zentral.

Nach dem letzten Klinikaufenthalt bin ich wieder einmal auf neue Medikamente eingestellt, diesmal immerhin zum ersten Mal wirklich aufs Standardmittel schlechthin bei bipolaren Störungen: Lithium. Das hat allerdings einige Nebenwirkungen: Zum einen gibt es da einen Tremor, der in Armen und Beinen bzw. Händen auftritt. Zur Eindosierung war das wesentlich stärker, teilweise war Suppenlöffeln nicht möglich, inzwischen ist in den Händen nur noch bei Tätigkeiten, die Feinmotorik benötigen, der Tremor da. In den Beinen schaut es da aber etwas anders aus. Da ist es, wie bei anderen Kletternden das Elvis Leg oder die sogenannte Nähmaschine, die meist angst- oder stressbedingt auftritt. Ich weiß allerdings, dass ich eigentlich dieses Phänomen recht schnell nachdem ich anfing zu klettern, loswurde, danach trat es immer mal wieder auf, wenn ich komisch Druck auf den Fuß brachte. Inzwischen ist das aber - vermutlich medikamenteninduziert - stärker geworden, ich kann sogar wieder wie zu Schulzeiten ein Zittern im Bein durch bestimmte Anspannung oder eine spezifische Art, meinen Fuß zu stellen, triggern. Leider habe ich nicht die Möglichkeit, das Zittern in die andere Richtung zu kontrollieren, also einfach abzustellen. Beim Klettern nervt sowas natürlich ziemlich, wobei ich inzwischen gelernt habe, den Fuß einfach schnell zu belasten und somit gar nicht viel Möglichkeit zum Zittern zu geben. Nur auf Platten ist das einfach sehr viel wirkungsvoller, wenn winzige Unterschiede in der Fußstellung über Reibung oder Nichtreibung entscheiden. Bei anderen Kletterstilen stört es weniger.
Eine andere Nebenwirkung: Lithium geht unter Anderem auf die Schilddrüse. Die war aber bereits vor Behandlungsbeginn in einer Unterfunktion, außerdem lassen sich Probleme mit der Schilddrüse gut behandeln, ergo ist diese Nebenwirkung zwar natürlich doof, aber nicht schlimm. Ich bin da ganz pragmatisch: Wenn mir meine Medis helfen, dann kann ich mit solchen, vergleichsweise milden, Nebenwirkungen leben. 

Dann bin ich jetzt seit zwei Wochen im Angebot zum ambulant betreuten Wohnen eines regionalen Anbieters. Mit meinem Sozialarbeiter hatte ich wirklich Glück, durch viele Erfahrungen im beruflicher Hinsicht ist er sehr differenziert, was sehr hilfreich ist. 
Außerdem gibt's wieder ambulant Therapie für mich, gut so.

Seit meinem letzten Klinikaufenthalt weiß ich noch genauer, was meine Herausforderung für die nächste Zeit sein wird. Und ich kann glücklich behaupten: tatsächlich könnte es in nächstes Zeit mehr um's Vorwärts und das Leben mit jenen als um's Überleben gehen. Dem Erarbeiten von Perspektiven sei dank. Außerdem konnte ich während des letzten Aufenthalts noch wesentlich besser erkennen, wie viel Pause und Erholung ich benötige und wie stark Ressourcen so sein können. Ich habe das Schreiben "wiederentdeckt", als Möglichkeit mich auszudrücken. Stichwort mich auszudrücken: Ich bin ein Fan davon geworden, meine Fingernägel zu lackieren. Beim Aufräumen meines Zimmers mit Musik kam mir eine Liedstrophe "Wir bezahlen еure Töchter wie Männеr, Respektieren das „Nein“ eurer Frauen, Lackieren euren Söhnen die Nägel" unter, zufälligerweise als ich den Nagellack zur Markierung meiner Karabiner und sonstigen Metall-Equipments verräumte. Und nun ja, sieht irgendwie cool aus, auch beim Zuknallen kleiner Leisten dann einfach so einen Farbakzent zu sehen. Und ein politisches Statement ist es (leider?) allemal, gut so! Nein, darauf wollte ich bei diesem apropos eigentlich nicht hinaus. Ich habe mir vorgenommen, in den sozialen Netzwerken ein wenig über chronische Krankheiten aufzuklären, auch gerade im Kontext Bergsport. Ich bin gerade noch am Ideensammeln, aber der Kanal existiert bereits, also wenn ihr nichts verpassen wollt, hier geht's zu chronischberge. Wann ich anfangen werde, wird sich zeigen.
Bis bald in den Bergen!


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