Psychiatrieaufenthalte und deren Zwecke

 Ja, wieder ein Update!


Ja, ich bin seit dem letzten Post noch immer in der Klinik, allerdings seit fast drei Wochen nur noch teilstationär: ich fahre also morgens hin und Nachmittags zurück nach Hause. Hat den Vorteil, dass das Setting nicht mehr soo speziell ist, wie es das vollstationär war und wäre. So kann das helfen, (wieder) in einen eher "normalen" Rhythmus zu gelangen. Arbeitsähnlich sind die Abläufe dann ja mehr als davor. 
Was nehme ich aus diesem - inzwischen tatsächlich sechsten! - Klinikaufenthalt? 
Kurze Warnung: Dieser Blogeintrag behandelt psychische Krankheiten sowie deren Symptome. Falls euch solche Themen in irgendeiner Weise zu viel sind, lest lieber einen Berg-Beitrag. Außerdem ein kleiner Disclaimer vorneweg: Dieser Eintrag erhebt in keinster Weise einen Anspruch an Wissenschaftlichkeit oder Objektivität oder Vollständigkeit. Ich nutze diese Plattform lediglich, um für diverse Themen zu sensibilisieren und die Erfahrungen als betroffene Person zu teilen, um so vielleicht auch anderen Leuten zu helfen.

Mögliche Zwecke eines Aufenthalts in psychiatrischen oder psychosomatischen Kliniken (bei affektiven Erkrankungen)

Davor sollte ich eventuell zuerst einmal aufzeigen, welchen Zweck so ein Aufenthalt in einer psychiatrischen oder psychosomatischen Klinik so haben kann. Da wären zum Beispiel:
  • Schutz vor sich selbst bei Eigengefährdung oder von anderen Leuten bei Fremdgefährdung
  • Einstellung auf neue Medikamente bei engmaschiger Kontrolle und Überwachung
  • Hilfe, wenn der Alltag nicht mehr geklappt hat, wieder dort hin zu gelangen (Regelmäßigkeit etablieren)
  • Mehr über die eigene Krankheit und damit Herausforderungen, aber auch Lösungsmöglichkeiten lernen

Schutz vor Eigengefährdung

Der erste Punkt ist relativ klar, Schutz vor Eigengefährdung Das mag bei bipolaren Störungen zum Einen in depressiven Episoden durch Suizidalität der Fall sein, aber auch in manischen Episoden durch riskantes, rücksichtsloses Verhalten. Wenn es um Suizidalität geht, wird in unterschiedliche Stufen unterteilt: 
  1. Gedanken
  2. Plan
  3. Versuch
Auf der ersten Stufe sind Gedanken und Wünsche an den eigenen Tod vorhanden, aber ohne konkreten Plan oder Methodenwahl. Auch passive Ruhewünsche zählen hierzu. 
Auf der zweiten Stufe steht der Plan. Von einem Plan ist dann die Rede, wenn eine Person auf eine bestimmte Art und Weise, eventuell schon zu einem bestimmten Zeitpunkt sterben möchte. 
Auf der dritten Stufe steht der Versuch, bei dem dann den Gedanken nachgegeben und gehandelt wird. 

Während Suizidalität nie harmlos ist, gibt es aber noch eine klare Unterscheidung, die klinisch getätigt wird: die Einteilung in Absprachefähigkeit. Eine Person wird als absprachefähig bezeichnet, wenn sie sich glaubhaft von den vorhandenen Gedanken distanzieren kann. Auf der ersten Stufe, bei den reinen Gedanken oder Ruhewünschen, ist eine Absprachefähigkeit demnach eigentlich immer vorhanden. Sobald ein Plan besteht, muss das allerdings nicht mehr der Fall sein.

Zu Einordnung: Ich wurde Mitte Juni von meinem Psychiater eingewiesen, da ich mich nicht mehr klar von meinen Gedanken distanzieren konnte, zudem war ich davor wieder in eine kurze hypomanische Phase geswitcht, was die ganze Sache etwas unberechenbarer machte. Daher wurde in der Aufnahme entschieden, dass ich auf eine geschützt geführte Station komme. Das heißt, die Station ist dauerhaft abgeschlossen, Patient*innen werden stärker überwacht als auf offen geführten Stationen. Eineinhalb Wochen hatte ich nur Ausgang mit Familienmitgliedern, sonst musste ich auf Station bleiben, danach durfte ich auch ohne Begleitung auf das Klinikgelände.

Also lässt sich als ein erster Zweck des Aufenthalts bereits der Schutz vor mir selbst feststellen.

Einstellung auf neue Medikamente

Manche Medikamente müssen streng kontrolliert werden, da sie vielfältige Möglichkeiten zu Nebenwirkungen haben. Dementsprechend werden bei der Gabe von neuen Medikamenten meist EKG, EEG und Blutwerte der Organe sowie des Medikamentenspiegels regelmäßig getestet. 
Je nach Wirkweise eines Medikaments - zumindest bei Antidepressiva - ist außerdem eine Eindosierung eines neuen Medikaments in suizidalen Krisen nicht ungefährlich. Manche Antidepressiva steigern zuerst den Antrieb beziehungsweise die Energie, bevor sie eventuell die Stimmung verbessern. Das kann dazu führen, dass eventuell die Energie zum vollziehen eines Suizidversuchs verfügbar ist, bevor das Medikament die Stimmung verbessert. Dementsprechend muss auch die Entwicklung des Antriebs und der Stimmung, insbesondere aber die Wechselwirkung zwischen beiden engmaschig kontrolliert werden.

Da ich direkt zu Beginn des Aufenthalts wegen der bekannten Nebenwirkungen von Valproinsäure (und der mit dem Aufenthalt nicht wirklich bewiesenen Wirkung) auf Lithium umgestellt wurde, mussten vor allem Nieren- und Schilddrüsenwerte wie auch der Lithiumspiegel kontrolliert werden. Lithium wirkt auf die Schilddrüse und verursacht gerne eine Unterfunktion (Hypothyreose). Die bestand bei mir allerdings schon vor der Gabe von Lithium, weswegen ich direkt auch auf L-Thyroxin (ein Schilddrüsenhormon) eingestellt wurde. 
Außerdem kann ein zu hoher Lithiumspiegel auch lebensgefährlich sein (ist ja auch ein Metall, wes Wunder!), daher wird hier auch der Spiegel regelmäßig erhoben.

Ein weiterer Zweck des Aufenthalts ist bei mir also auch die Überwachung meiner Gesundheit bei der Gabe von neuen Medikamenten.

Hilfe für den Alltag

Viele Menschen in Krisensituation schaffen es nicht mehr, ihren Alltag aufrecht zu erhalten. Das kann daher kommen, dass kein Antrieb bzw. keine Energie mehr dazu da ist, dass negative Gedanken und/oder Gefühle alles bestimmen. Manche Leute haben auch keinen Appetit und/oder Hunger mehr, weswegen Essensroutinen wegfallen können. Viele Gründe können alle ein ähnliches Ergebnis bedingen: den Verlust der Struktur im Alltag. 
Vor meiner Einlieferung dieses Mal hatte ich (wie auch bei den akuten Aufnahmen zuvor) ein paar Tage lang nichts mehr gegessen und eigentlich nur noch geschlafen. Dementsprechend hilfreich ist es, in der Klinik von einem strengen Rhythmus wieder auf den richtigen Weg gebracht zu werden. In der Klinik bzw. auf der Station, in bzw. auf der ich bin, gibt es von 7:30 bis 8:30 Uhr Frühstück, Medikamente morgens von 8:30 bis 9:00 Uhr. Um 9 Uhr ist die Morgenrunde, eine Art Gruppenvisite mit den zuständigen Pflegekräften des Frühdiensts und der Ärztin. Ab 12:10 Uhr gibt es Mittagessen. Um 18 Uhr findet die Abendrunde statt, auch eine Gruppenvisite, allerdings nur mit den zuständigen Pflegekräften des Spätdiensts. Danach gibt es Abendessen. Dazwischen finden die unterschiedlichsten Therapien statt: In der Ergotherapie geht es um kreative, praktische Tätigkeiten, Sporttherapie hilft mit Glückshormonausschüttungen (und natürlich beim Fitbleiben oder -werden). Arbeitstherapien sollen die Arbeitsfähigkeit erhalten oder wiederaufbauen, sie finden meist täglich statt. Entspannungstherapien helfen, Kontrolle über die körperliche Verfassung zu bekommen und besser in den Körper hineinspüren zu können. Ihr seht also, ein umfassendes Programm!

Eines meiner Werkstücke aus der Ergotherapie 

Mehr über die eigene Krankheit erfahren

Manche Leute, die in eine Klinik kommen, hatten zuvor noch keine Therapie oder keinen Psychiaterbesuch und hören dementsprechend zum ersten Mal von ihrer Krankheit. In ein- bis zweimal pro Woche stattfindenden Sitzungen mit Psychologinnen oder Ärzten werden verschiedenste Themen behandelt: Notfallpläne für Krisenfälle, Prägungen der eigenen Denkweise zu erkennen und verstehen. Im Metakognitiven Training werden Patient*innen für die verschiedenen Denkverschiebungen (biases) in einer Depression sensibilisiert. In der Psychoedukation lernen Menschen die verschiedenen Symptome, möglichen Auslöser und Behandlungsmöglichkeiten ihrer Krankheit. 

Da ich bereits ein paar Mal in Kliniken war (zudem in Therapie), hatte ich vor diesem Aufenthalt schon meine Diagnosen. Bei den vergangenen Aufenthalten habe ich bei neuen Diagnosen viel über die Behandlung und Verhaltensempfehlungen gelernt, dementsprechend war dieses Thema nicht unbedingt das wichtigste des Aufenthalts. 
Nichtsdestotrotz habe ich´aus diesem Aufenthalt viel mitnehmen können, unter anderem konnte ich so deutlich wie nie meine Ressourcen erkennen (Schreiben, Lesen, Lernen und natürliche Berge), außerdem konnte ich im Zusammenspiel mit dem Erkennen der Probleme vor dem Aufenthalt eine Idee davon bekommen, welche Voraussetzungen ich brauche, damit ich nachhaltig stabil bleiben kann. Also immer noch etwas dazugelernt!

Fazit


Dementsprechend war dieser Aufenthalt - obwohl ich bereits viele der Punkte bei anderen Aufenthalten schon behandelt hatte - wieder recht produktiv. Außer für meine Bergsaison, aber das kommt noch :)

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