Madrisa (2770m) Tschübel-Gully 400m TD+, M6 WI4

Oder: Ja, sind wir denn hier in Patagonien?

Letztes Jahr habe ich mal in Sertig Bilder von einer Seilschaft geschossen und auch drangedacht, denen die Bilder zukommen zu lassen. So kam ich mit Jakob in Kontakt, einem motivierten Eisgänger. Nach ein paarmal hin- und herschreiben zeigte sich dann auch gleich, dass unsere Ziele und Niveaus recht ähnlich sind. Dabei kam die Idee auf, mal das Tschübel-Gully an der Nordwand der Madrisa im Montafon anzugehen. Irgendwie kam es dann auch recht fix dazu, und so geht es nach einem kompletten Arbeitstag am Dienstag um 20:14 Uhr mit dem Zug los nach Vorarlberg.

Jakob schwärmte schon einige Zeit von der Linie, die ihm beim häufigen Skitourengehen in der Region jedes Mal ins Auge fällt, weil sie einfach komplett logisch ist. Und das Tolle an der Sache ist: über eine unter anderem auf die Wand gerichtete Webcam des Skigebiets lassen sich die Verhältnisse einschätzen! So kann ich mich auch für die Wand begeistern - was nicht lange dauert, zu lockend sind neben der Linie auch die Fakten zur Kletterei. 

Aber immer mit der Ruhe, wir wollen es langsam angehen lassen. Nach drei Stunden Schlaf ist um 6:50 Uhr Abfahrt, gut eine Stunde später stehen wir in Gargellen und schalten die Piepser ein, fellen auf und wechseln in die Skischuhe. Theoretisch wäre es auch möglich, mit dem ersten Lift um 8:15 Uhr raufzufahren und dann über eine Piste ein Stück abzufahren, aber bis unter die Wand geht es nochmal bergauf und so wäre nochmal ein Auffellen angesagt. Wieso also nicht direkt von unten mit Fellen, was auch Geld spart?

Jakob im Aufstieg, die Madrisa thront im Morgenlicht.

Vom Parkplatz folgen wir also immer den Skipisten bergauf, ehe wir nach ca. 500hm in Richtung Wand abbiegen. Dann quert der Zustieg nochmal ein paar Meter bergauf, über einige bockelharte Lawinenfelder hinweg. In einem solchen deponieren wir auch unsere Skier sowie einen Rucksack, da es uns nun zu steil wird und der feste Schnee auch gut zu Stapfen ist. Um 10 sind wir am Einstieg der Route. 

In Wandmitte lässt sich der zweite Eisaufschwung der Route erkennen.

Das Tschübel-Gully kann in zwei Hälften unterteilt werden: die erste Hälfte besteht aus einem recht einfachen Eisfall, auf den 150m Schneegestapfe folgen, immer an die 50° steil. Am Ende des Schneefelds führt eine 45m lange steilere Eisstufe in ein nächstes Schneefeld, welches dann zum Beginn des zweiten Teils führt, der von Mixed-Kletterei geprägt ist. 

Am Einstieg entscheiden wir uns, bis zum zweiten Eisfall seilfrei zu gehen, da das gut Zeit spart. Der erste Eisfall mit seinen 70° (WI2-3) geht schnell vorbei, kostet Jakob aber beim Durchschlagen einer Glasur auf den nackten Fels direkt die Hauenspitze. Eigentlich hatte er Vorstiegsambitionen in der zweiten Eisstufe, die je nach Quelle mit WI4+ bis WI5 angegeben ist. Er will sich die Länge trotzdem mal ansehen. Also stapfen wir bis zur zweiten Eisstufe. 

Die erste Eisstufe.

Stapfen zur zweiten Eisstufe.

Dort ist ein Stand im Fels vorzufinden. Zum Glück handelt es sich bei der formschönen Madrisa um einen Berg aus Gneis, denn dieser hat gut Reibung und so ist es Jakob möglich, die Hauenspitze am Fels zu schleifen. 
Vom Ergebnis recht überzeugt geht er die Eislänge an, unsere erste Seillänge. Eine kurze senkrechte Stelle leitet in durchgehend 80 bis 85° steiles Gelände. Am Ende der Eisstufe befindet sich wieder ein Stand an einem Felsblock. Dort angekommen frage ich ihn, ob er die gleiche Einschätzung teilt wie ich; mit einem fünften Grad im Eis hatte das nichts zu tun, eher mit einem vierten. Wir beide schätzen ca. WI4-, maximal WI4. 

Jakob im Eis der zweiten Stufe.


Das nächste Schneefeld (SL 2) stapfe ich fix zum Seiltransport rauf; hier ist bereits ein schlechter Blick in den Kamin der Cruxlänge zu erhaschen. 

Jetz darf Jakob in der ersten reinen Mixedlänge, unserer dritten, an's scharfe Ende. Der Einstieg ist ein boulderartiger Aufschwung, mit Geräten in einer Rissspur und schlechten und schlecht einsehbaren Tritten. Hier sichert er mit einem Cam ab, ehe er in das geneigte Gelände steigt. Eigentlich sollten hier noch zwei Normalhaken zu finden sein, die aber haben wir beide nicht gesehen. Dies verunsichert ihn etwas, vor allem da er wenig Erfahrung im Mixedklettern hat. Mit Zuspruch und planendem und berechnenden Klettern geht die Sache aber dann doch bestens und der Stand kommt auch früher, als das Topo es suggeriert. Hier hinterlassen wir unsere Eisschrauben, da uns nur noch Fels und Schnee erwarten.

Hier hat Jakob die schwere Stelle bereits hinter sich.

Tja, und dann kommt sie, die (angebliche) Cruxlänge, unsere Seillänge vier. Und ich kann behaupten, diese Seillänge ist die eindrücklichste, die ich bisher klettern durfte, in großartigem Ambiente: Ein Kamin, gefüllt mit Schnee im Grund, aus dem sich mächtige Schneepilze wölben und über uns thronen. So etwas zu sehen, geschweige denn zu klettern, hätte ich eher in Patagonien erwartet als in Vorarlberg. Die Seillänge startet geneigt, es klettert sich noch über Schneepilze (die halten irgendwie). Irgendwann dann fängt das große Spreizen an: Zwischen den beiden Seitenwänden auf Gegendruck kletternd gewinne ich hier an Höhe, und da die Schneepilze und der Kamin nach außen abdrängen, stehe ich bald senkrecht über Jakob. Gigantisch! Die Tritte auf der einen Seite sind groß, auf der anderen Seite dafür wirklich klein, abschüssig und nie in der Richtung, in der ich sie eigentlich gerne hätte. So ist die Geschichte doch recht diffizil zu klettern, aber nie ganz schwer. Bewertet mit M6, bestens eingebohrt (ich habe mindestens einen Bohrhaken übersehen, da er so früh nach dem letzten kam). Es gäbe die Möglichkeit, perfekt zum Fotografieren über dem Kamin Stand zu beziehen, aber ich klettere noch weiter über einen zweiten Aufschwung mit Glasur, der zu einem ausnahmsweise doppelt gebohrten Stand führt. Der Aufschwung darf ein gutes Stück über der letzten Sicherung geklettert werden, aber geht ohne Probleme. Aus dem beeindruckenden Kamin heraus, fängt ein riesiger Pfeiler unsere Blicke, der ab jetzt über der Kletterei thront. 

Beim Spreizen mit den Reizen nicht geizen.

Der Blick nach oben nach der Crux.

Frozen Turf am Stand.

Jakob klettert in Seillänge fünf weiter, über einen kleinen Aufschwung. Der kann mit einem Cam 1 oder 2 abgesichert werden. Darüber findet er aber den Stand nicht und lässt sich so verleiten leicht zu queren, zu einem Schlingenstand. Ich versuche es von dort rauf noch, aber das ist zu heikel und passt nicht zum Charakter der Kletterei davor, also seilen wir nochmal zurück zum letzten Stand. Ich klettere die Seillänge nochmal und finde gerade so den Stand, der unter 5cm Eis begraben ist. Nur die rote Schlinge, welche leicht rosa durch's Eis schimmert, hat den Bohrhaken mit Backup verraten. 

Schöne Glasuren zum Verhauerstand.

In unserer sechsten Seillänge klettert Jakob kurz in eine kleine Rinne, der Start ist nicht trivial, aber an einem Bohrhaken zu klettern. Hier ist etwas Eis im Verschneidungsgrund wie bei uns definitiv von Vorteil. 

Kurze Rinne, spaßige Kletterei.

Unsere siebte Seillänge ist die letzte, nach der abgeseilt werden kann, sonst muss über zwei Seillängen gequert werden und ins Firnfeld 300 Höhenmeter zum Gipfel gestapft werden und auf der anderen Bergseite abgestiegen. Da wir unsere Skier und Equipment aber unter der Wand deponiert haben, wollen wir abseilen, also stellt diese Seillänge unsere letzte dar. Im Topo mit M4+ A0 bewertet, was auch einen Grund hat. 
Das Anklettern des ersten Hakens ist schon gut wacklig, auf einer Platte darf fein angetreten und gehookt werden. Leicht nach links oben ansteigend kann dann irgendwann der Riss in der Verschneidung beklettert werden. Hier habe ich viel Chaos mit meinen Leashes - die ich sonst aus diesen Gründen nie nutze, und daher halt auch nicht übe. So wird das nix! - und meinen Schlingen über der Schulter, die sich irgendwie verheddert haben und so hinterlasse ich die Schlingen und entheddere meine Leashes. Bei Bohrhaken drei wird die Sache richtig knifflig, ich mache ein paarmal den kleinen Abgang in den Haken. Etwas unübersichtlich, ob es nach rechts in die Verschneidung raus geht oder geradeaus hoch ist die Sache auch noch. Ich entscheide mich für nach rechts in die Verschneidung, was halbwegs gut geht. Frei schätze ich die Stelle auf M6+ bis M7, die Tritte sind hier wirklich schlecht und die Kletterei will im für einen Onsight gut geplant werden. Über kurze Stapferei geht's nochmal zu einer nach rechts führenden, anregenden Verschneidung. Am Stand angekommen kurz der Blick rüber zum Pfeiler, der hinter uns mit einer senkrechten, glatten Wand gute 120m in die Höhe schießt und dessen Kante wie ein Schiffsbug in's Freie ragt. Wie gesagt, Ambiente hat es hier zu genüge! Leider ist das Skigebiet, über dessen Pisten wir aufgestiegen sind auch nah, und das Brummen der Lifte und die Stimmen der Leute zerstören den Eindruck etwas. 

In der letzten Seillänge.

Der ausladende Schiffsbug des Pfeilers.

Nach kurzer Trinkrast und dem letzten Biss Riegel geht's bergab zu den Skiern. Mit denen fahren wir über hart vereistes Gelände zu den frisch planierten Pisten und über diese direkt zwei Meter neben das Auto. Auf eine etwas schlafreichere Nacht freuend geht es also wieder zurück.

Facts: Madrisa, Tschübel-Gully
Länge: 400m
Erstbegehung: Marco Wasina und Robert Glück, 23.04.1994
Schwierigkeiten: WI4, M6+, 70°
Absicherung: Stände zumeist mit einem Bohrhaken (Mammut Longlife), Kletterei gut eingebohrt. Aufgrund des sehr kompakten Gesteins ist kaum zusätzlich abzusichern, was aber auch nicht unbedingt nötig ist. 
Material: 10 Exen, kleines Sortiment Cams (wir haben 0.3, 1 und 2 benutzt)
Fazit: Geniale Route mit einzigartigem Ambiente! Schöne Abwechslung durch die Eiskletterei im unteren Teil. Sehr lohnend! 

Kommentare

  1. Antworten
    1. Hallo Marco,
      vielen Dank, ich kann nur sagen: tolle und eindrückliche Route! Wirklich lohnenswert, danke für die Arbeit!

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