Skitour im Sertig und Lagrevfall

Oder: Vertrieben im Wind

Wie bereits erwähnt, wollten wir an Tag zwei am Hoch Ducan klettern. Nach kurzer Recherche stoßen wir auf einen Eintrag von vor knapp einer Woche. Der besagt, dass es äußerst wenig Eis in der Höhe hat. Anschauen wollen wir uns die Sache trotzdem, also wird ein Hakensortiment zu den Eisschrauben in den Rucksack geworfen und los geht's.Auf Skiern laufen wir gen Talschluss, wo es auch bald aufwärts geht. Der trockene Schnee macht hier schon Schwierigkeiten im Aufstieg, trotz vorhandener Spur rutscht der Talski dauernd ab. Kräftezehrend und nervig zugleich! 
Bald kommen wir ins Hochtal Ducan, ein schönes und ruhiges Eck! Im Talboden läuft ein kleiner Bach, links türmen sich die Gipfel der Ducangruppe auf. 

Das Ducantal am Morgen.

Blick zurück nach Sertig, die Sonne schafft es noch nicht ganz über die Berge im Osten.


Wir laufen das Tal am Hang entlang, ehe Leon beginnt, die Spur nach oben zu legen. Ein weiteres Problem neben dem trockenen Schnee: es sind kaum Konturen sichtbar im Schnee, alles ein einheitliches Weiß um uns. Keine Hangneigungen abschätzbar, keine Geländestrukturen erkennbar, nichts. Irgendwann meint Leon, er habe da ein ungutes Bauchgefühl. Selbst in kleinem Raum ließen sich Triebschneeansammlungen erkennen, hinter Kämmen. Flächenmäßig von klein bis mittel, unser Hang hat an der von Leon günstig gelegten Spur nie mehr als 28°, seitlich davon geht's aber schon in Richtung 30°+. Wir sind auf über 2200m in einem nordexponierten Hang, also auch in der entsprechend anfälligen Exposition. Ein zweites Problem: wir sind zu früh aufgestiegen und müssten nun weitere steile Rinnen queren. Erstmal eine Frage der Möglichkeit, daneben aber natürlich vor allem auch der Gefährlichkeit. Nach kurzem Überlegen beschließen wir, umzudrehen und zum Auto zu fahren. Riskieren müssen wir hier nix, auch wenn die Triebschneepakete vielleicht nicht wirklich ausflösefreudig waren. Aber Testen möchte das auch niemand von uns. 
Der Schnee, der im Aufstieg so mühevoll zu Laufen war, ist in der Abfahrt reiner Genuss (sieht für mich als Skianfänger natürlich anders aus als für Leon), unser Hang perfekt zum Abfahren; nicht zu flach aber nicht zu steil. Skitour mit gutem Schnee statt Mixen mit eventuell zu wenig Eis und unsicheren Rückzugsmöglichkeiten plus vernünftige Entscheidung gefällt, fühlt sich gut an!

Zurück am Auto packen wir wieder um und fahren gen Albigna los. Dafür müssen wir über den Julier- und Malojapass. An erstgenanntem liegt der Lagrevfall, an dem keine 20m daneben die Skispur auf den Piz Lagrev vorbeiführt, die Leon bereits ein paarmal gefahren ist und der Fall seitdem auf seiner Liste ist. Ich bin noch skeptisch ob dem Zeitplan, aber Leon meint das passt. Er war schon überall in der Schweiz und daher vertraue ich auf die Einschätzung von Fahrt- Zustiegs- und Kletterzeit, zumal wir wirklich effizient waren bisher.

Fast forward eineinhalb Stunden später: Wir stehen am Parkplatz am Julierpass, eine klar sichtbare Spur führt den Nordhang hinauf und deutet den Aufstieg zum Piz Lagrev an. Auffellen und los geht die Post! Am Parkplatz sehen wir zwei Leute, die gerade mit Eisequipment eintreffen und fragen nach den Bedingungen. Die seien suboptimal, viel eingeschlossener Schnee und sprödes Eis, vernünftige Schrauben gehen wohl nicht überall rein. Soll uns nicht abhalten, der Fall ist nämlich WI3- recht einfach. 

Der Hang zum Eisfall und Piz Lagrev mit der klaren Aufstiegsspur.

Schöne Kehren führen nach oben, bis wir die Fälle sehen. Sieht wirklich nicht nach viel Eis aus, aber abwarten. 

Die Lagrevfälle.

Leon steigt in Seillänge eins ein, die ist aber größtenteils flach. Daher braucht's auch nicht wirklich viele Schrauben. Stand bezieht er am vorhandenen Normalhakenstand mit viel Schlingenmaterial. Ich darf in der zweiten Länge ran, direkt vom Stand geht es senkrecht los. Hier ist allerdings das Eis dünn, mti Schnee hinterlagert und so frage ich mich manchmal, ob ich gerade wirklich im Eis stehe oder ob gerade nur etwas zusammengeklebter Schnee mein Gewicht hält. Schnell geht es weiter und ins Flache, wo das Eis nun noch dazu spröde wird und ich trotz Benutzung der riesigen alten Hooks große Platten Eis gen Tal befördere. Zum Glück steht Leon am Stand außerhalb der Schusslinie. Gute Schrauben lassen sich hier auch nur wenig drehen, die besten haben trotzdem viel Luft- und Schneeeinschlüsse. Die 60m Seil sind bald aus, bis zum Schlingenstand weit hinter der Kante reicht es nicht mehr, aber zum Glück gibt es hier im Flachen durchgehend blaues Eis, in das ich einen Stand bauen kann und Leon nachhole. Oben drehen wir eine Eissanduhr und seilen schnell ab, damit es noch im Hellen bis zum Auto reicht.

Ein bunter Leon am kurzen Aufschwung im Einstieg.

Das tut es auch, inklusive einiger wirklich schöner Schwünge in der Abfahrt. Schnell in's Auto und Richtung Malojapass!

Facts: Lagrevfall
Länge: 80m.
Schwierigkeiten: WI3-, nebendran hat es aber auch einige kürzere Mixedlinien. 
Absicherung: Beim Klassischen Lagrevfall haben wir nach Seillänge eins einen Stand an drei alten Normalhaken gefunden. Nach Seillänge zwei hat es keinen Stand, der Schlingenstand weiter hinten gehört vermutlich zu etwas Anderem.
Fazit: Schöner leichter Fall mit recht kurzem Zustieg, in 45min vom Parkplatz hat es hier zwei Linien um die WI3 und bei mehr Eis einige kurze Mixedlinien. Bei genügend Zeitreserve auf der Durchfahrt definitiv eine Begehung wert!

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