Zuestoll (2235m) - "Alte Südwand", 6b

Vermutlich werden nicht nur die alpin ambitionierten Kletternden bei einer Auto- oder Zugfahrt am Walensee entlang die Köpfe in den Nacken legen, denn imposant sind sie definitiv, die Churfirsten. Steil ragen sie über mit ihren Gipfeln über das rund 1800m darunter liegendende Gewässer. Von unten kaum denkbar, dass sich im Jahre 1948 bereits vermutlich nicht weniger staunende Menschen über zwei Tage einen gang- bzw. kletterbaren Weg durch die Wand der Zuestoll suchten und fanden, fällt sie auf ihrer Südseite doch mit am steilsten unter den Churfirsten ab.
Bereits vor zwei Jahren bin ich mit André auf dem Weg zum Eisklettern nach Graubünden am See entlang Zug gefahren, während wir staunend aufblickten und uns über die Wände unterhielten. Passend also, dass ich mit ihm sehr sehr kurzfristig in klassischer Hendrik-Manier um 04:30 Uhr mit dem Ziel klassische Zuestoll Süd gen Osten aufbreche. Die erste Pausetour nach zwei Jahren ohne mobilisiert eben ordentlich Motivation, die in den letzten drei Monaten sehr gut angespart wurde.

Blick ins idyllische Alpstein mit dem Säntis als höchster Erhebung.

Die Zufahrt zur Selamatt-Bahn ist landschaftlich schön, gegenüber im Tal über Wildhaus ragt das Alpstein mit Säntis, Konsorten und etlichen Kletterzielen auf. Lange genießen dürfen wir es auch, nachdem wir den Parkautomaten übersehen. Umgedreht und gefunden werden wir direkt 30SFR los, denn die 13 SFR bezahlen geht nur per Münzen. Derer haben wir zusammen 12,70. Während wir im umliegenden Schotter auf einen Glücksfund hoffen, entscheidet sich der Automat, den Bezahlvorgang abzubrechen, das Geld zu behalten und von Neuem 13SFR zu wollen. Zu spät sehen wir seitlich, dass auch per App bezahlt werden kann, also nochmal 13SFR loswerden.
Dafür geht's dank bereits stattgefundener Viehscheid weiter hoch mit dem Auto als normalerweise. 
Der erste Teil des Zustiegs führt schön auf der Nordseite der Churfirsten zuerst durch sanfte Wiesen, ehe es steiler und steiniger wird. Irgendwann erreicht mensch die Palisniederii, die Scharte, auf deren anderen Seite die Sache steil nach unten abfällt. Von der Scharte geht's jedoch nicht runter, sondern auf schmalem Band unter die Südwand. Eindrucksvoll!

Recht ausgesetzte Querung zum Einstieg am erahnbaren Vorbau.

Der Einstieg befindet sich jedoch an einem Vorbau, der breit genug ist, um die Seile aufzuschießen und sich bereit zu machen. Die erste Seillänge ist führt unspannend auf den Vorbau und zeigt den Charakter der Kletterei auf: im Dreiergelände durchgebohrt. Uns dünkt, wir hätten tatsächlich unser kleines Rack an Sicherungsmitteln zuhause lassen können.

Eindrucksvoll und steil zeigt sich die Südwand vom Einstieg.

Andre darf in Länge zwei dann direkt an den Kaltstart: 6a+ und gut tüftelig geht's nach kurzem Linksquergang über einen Aufschwung, nach dem die Linie weiter links quert. Allgemein quert die klassische Süd viel, horizontale Klettermeter gibt es nicht viel weniger als vertikale.

Gehste quer, siehste mehr: André in der zweiten Seillänge, einer der zahlreichen Quergänge in der "Alten Südwand" und vor der Crux der Länge.

Die nächste Seillänge ist entspannt, 5a. Direkt rauf durch eine Verschneidung. André darf dann in Seillänge 4 auch entspannt ran, 5a und - wie könnte es auch ander sein - wieder quer, diesmal aber nach rechts. Im Nachstieg gehe ich mit einem Teil eines Griffs und einem Graspolster unter meinen Füßen auf Tauchstation. Besser gesagt, teilweise. Denn das Gras und mein Griff segeln weiter als die sechs Meter seitlich und runter, die ich in kürzester Zeit hinter mir hab'. Ergebnis der Aktion: ein paar Schrammen zusätzlich zu den (Blut-)Blasen des Vortags, die der Vorschlaghammer zu verantworten hat. Aber nichts Schlimmes passiert, außer dass mein Alpin-Ego verletzt ist, ich werfe eigentlich nicht mit Bruch. Schnell klettere ich die paar Meter rauf, was einfach möglich ist. Am Stand dann kurz internes Hin und Her, ob ich Pause machen soll, den Vorstieg der anstehenden Crux abgeben oder oder oder, aber passiert ist eben nich viel und ich bin auch psychisch nicht mehr durcheinander als sonst.

etwas malträtierte Hand mit vielen Blasen vom Vortag. Zum Glück hat's keine Hallenhenkel in der Route, sonst wär's schmerzhaft gewesen...


Bester Fels in Seillänge 4. Abwechslungsreich zudem.

Also geht's los in Seillänge fünf. Ob der Schwierigkeit scheiden sich die Topos und somit auch die Geister. Pause-Auflage Nummer vier schreibt 7-, also 6a+, das E-Book der Auflage drei proklamiert 7, also 6b, und das handgezeichnete Topo, welches André auftreiben konnte sogar 6b+, also 7+. Fakt ist: die schwerste Einzelstelle der Route wartet hier, über einen Aufschwung geht es wacklig rauf, ehe auf die Platte oberhalb gemantlet werden kann. Läuft mir irgendwie im Onsight rein, Alpin-Ego also wieder größtenteils hergestellt.

André darf in Seillänge sechs wieder durch leichteres Gelände hoch, aber eine 5a wie in meinem Führer ist das nicht, die 5c aus seinem Topo passt eher. Allgemein sind die Schwierigkeiten der verschiedenen Topos deutlich unterschiedlich, was erstaunt, denn geklettert wird recht sicher an den ursprünglichen Stellen, durch die Sanierung wurde der Routenverlauf also nicht verändert, das bezeugen die Normalhaken, die durchwegs anzutreffen sind.

Bei einer kurzen Pause zur Halbzeit der Pause(-Tour) rufe ich kurz die Nummer zurück, die mich wenige Minuten eher versuchte zu erreichen und es tut sich rasch eine Perspektive zusätzlich zur gigantischen Rundsicht auf - in weniger als 24 Stunden werde ich nach zwei Monaten Wartezeit wieder in der Klinik sein.

Weiter geht's im Text und in der Wand: ein 3er-Quergang (inzwischen klar) leitet nach rechts, ehe André in Seillänge acht nochmal in einer 6a+ an schönen Schuppen ran darf. Die stellt die kräftezehrendste Stelle der Route dar, ich schwitze ordentlich. 

Der Quergang in Seillänge sieben...

... nochmal von der anderen Seite.

Meine nächste Seillänge, Nummer neun, ist wieder eine einfachere (5a) Querung, wieder nach rechts. Bei Nummer zehn darf André leicht nach links oben, 5b.
Seillänge 11 stellt mit 6a+ oder 6b die letzte Hürde dar, ich darf zuerst gerade, dann sehr ausgesetzt nach links queren. Wer die richtige Sequenz findet, wird jauchzen, denn die Stelle löst sich sehr gut auf. 

Die letzte schwere Stelle der Wand, und wie sollte es anders sein: ein Quergang nach links.

André führt in der längsten Seillänge der Route bis zum Ausstieg, wo wir kurz einpacken, die letzten Meter zum Gipfel steigen und das 360°-Panorama genießen.

Grinsen ob der schönen Kletterei kurz vor dem letzten Stand.

Doch inzwischen windet es und vom blauen Himmel, der uns durchwegs begleitet hat, ist nicht viel übrig. Daher geht's für uns schnell zurück zum Auto, wo es allerdings wieder aufzieht und strahlend blauer Himmel zum Verweilen einlädt. Nach ausgedehnter Rast treten wir die Rückfahrt in den Schwarzwald an.

Gipfel!


Zuestoll (2235m)  - "Alte Südwand"
Schwierigkeit: 6b
Länge: ca. 300m
Erstbegehung: F. Bürkle, H. Frommenweiler 16.-17.09.1948
Absicherung: bestens eingebohrt, keinerlei zusätzliches Material notwendig.
Fazit: imposante Wand, durch die sich eine geschickte Linie windet. Nach dem Motto "gehste quer, siehste mehr" gibt es für die Wandhöhe extra viel Klettermeter, die allesamt doch sehr ansprechend sind.

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