Eisklettern in den Vogesen

Oder: Unverhofft kommt oft

In der Freiburger Bergsportblase existiert schon lange der nicht ganz wirkliche Geheimtipp Vogesen. Dort gibt es (im Gegensatz zum Schwarzwald) jeden Winter erstaunlich lange gutes Eis zum Klettern. Zeit, sich das 'mal genauer anzuschauen.

Da wochenends häufig viele Leute aus dem Dreiländereck anzutreffen sind, empfiehlt es sich nach Möglichkeit unter der Woche vorbeizuschauen. So tun das auch Guido und ich an einem Mittwoch Anfang März. Guido war schon etliche Male dort und kennt das gute Zeug, ist somit exzellent als Guide vor Ort. Unsicher, ob trotz der längeren Warmwetterperiode vor einigen Wochen wieder/noch Eis steht, geht es also ins Elsass. 

Geparkt wird an einem Skigebiet, wo wir erstaunt feststellen, dass die Lifte laufen. In der Anfahrt war auf dieser Höhe (andere Hangexposition) wenig bis kein Schnee. Auch im Zustieg geht es entlang extrem flacher Pisten (grün?), die maximal fünf Zentimeter kompakten Schnee haben, durch den das Gras durchschaut. Grausliger Anblick!
Kaum weg vom Skigebiet offenbart sich das wilde Ambiente der Vogesen: vegetativ wie einige tausend Meter höher, klimatisch als Gebiet westlich vor dem Schwarzwald liegend wesentlich ausgesetzt als letzterer. Latschen zieren den Wanderweg auf den Seiten, wenn nicht gerade windgebeutelte flache Hänge noch weniger Vegetation zulassen. 
Irgendwann zweigt der Zustieg vom Wanderweg ab und führt einen kleinen Bach entlang, der hier komplett zugefroren ist. Gutes Omen! Ungeschickt wie wir sind nehmen wir anfänglich den Gras- und Steinhang seitlich des Bachs als Weg her, ehe wir entspannt das stufige Eis des Bachs als Treppe nutzen. 

Die Hauptwand, bis zu 30m hoch.

Bald zeigt sich die "Hauptwand" des Gebiets, circa 15 - 20m breit, bis zu 30m hoch (ein flaches Couloir nach oben nicht mitgerechnet). Die oberste Linie steht gut da, und wir entscheiden uns, das Seil im Vorstieg einzuhängen, um über die dünneren (und teilweise gut vom Fels gelösten und hinterspülten) Längen dann sicher im Toprope nutzen zu können. Diese Seillänge wird direkt ie zweitschwerste des Tages werden, senkrechte Meter im strukturierten Eis zu Beginn führen dann in superflaches Gelände und zum Stand. Im ersten Teil allerings so strukturiert, dass ich es einmal schaffe, mein Eisgerät so zwischen Kopf und Sporn unten einzuspannen, dass ich es nicht aus dem Placement wackeln kann. Nach einigem Aufwand kann's dann aber doch weitergehen.
Guido steigt die Länge auch nochmal vor, ehe wir nach links und etwas weiter unten gehen, um eine dünnere Glasur von oben gesichert zu klettern. Im Ausstieg mit exzellentem Frozen Turf (Grasbüschel)! Zuletzt klettern wir in diesem Sektor die am weitesten links liegende Linie, eine zugefrorene Verschneidung. Das Eis hier ist allerdings gut 20cm vor dem Felsen und so wird auch hier nur im Toprope geklettert. Dank Guido, der hier einen komischen Quergang zum anderen Stand hinlegt.

die eisgefüllte Verschneidung, deren Eis gut vom Fels absteht.

Die ersten Meter hier klingen recht hohl (nicht ohne Grund wie eingangs erwähnt), ehe es erstaunlich solide aussieht und klingt und auch wieder am Hintergrund anliegt. In einem zweiten Durchgang klettern wir die Länge mit nur einem Eisgerät, um den Bewegungsablauf im steileren Gelände gut einzustudieren und ein besseres Gefühl für die Klettertechnik bekommen zu können. 

Ehe wir die Bedingungen in den weiter unten liegenden Couloirs auschecken, versucht Guido mich noch darauf einzustellen, dass die Längen nicht die krasseste Kletterei aufweisen werden. Womit er allerdings Unrecht haben wird, aber erst einmal weiter im Text. 
Über eine flache Rinne gelangen wir in eine etwas steilere Rinne, an der an einem einzelnen Schwerlastanker im Fels rechts Stand bezogen werden kann. Ich bereite die Seile vor und behänge mich mit Ausrüstung, während Guido unsere drei Eisschrauben aus dem oberen Sektor nachholt, denn die haben wir vergessen mitzunehmen. Über eine flache Rinne von ganz unten kann die Route auch auf zwei Seillängen verlängert werden, aber für den besseren Überblick über die Bedingungen haben wir den Zustieg von der Seite gewählt. 
Die folgende Seillänge sieht von unten, besonders in oberen Teil äußerst spektakulär aus: steil, viele Zapfen und ausgesetzt.

Die Traumlinie des Tages: Das Couloir.

Guido meint, die Seillänge sei entlang eines gelben Streifens (woher der kommt fragen wir lieber nicht) ganz gut kletterbar. Ich behalte mir allerdings eine Alternative im Kopf, die vor dem steilen Teil links auskneift und in vermutlich besseren Eis flacher aussteigt.
Ich starte im schmalen Couloir vom Stand weg, hier gibt es super kompaktes Softeis zum Steigen, ehe sich die Rinne weitet und leicht rechts steiler zu einer Wand wird, links davon flacher nach oben zieht. Hier halte ich kurz inne, sieht der steile Teil doch schon gut steil aus und ich bin mir auch noch nicht sicher, wie gut sich die Geschichte absichern lässt. Vor allem aber habe ich Bedenken, da im davorliegenden flachen Teil eine 50cm dicke Eisschicht gute 50cm von der Wand absteht und in einem Drumset mit ihrem Klang gute Dienste leisten würde. Hier wird kurz gezögert, die Schuppe gibt mir kurz ein ungutes Bauchgefühl, ich rufe nach unten, dass ich mir nicht sicher bin, ob die rechte Variante so gut steht wie es von unten aussieht. Eine verlängerte Exe darunter würde mir sowohl Falle des Weiterwegs nach links als auch im Falle dessen nach rechts gut helfen, sodass ich mir die steile Geschichte doch mal ansehen kann. Ich gebe das nach unten und starte ins Steile. Das Eis hier ist wieder am Fels angewachsen und klingt nicht mehr, gute Zeichen! Zwei Schritte weiter und ich stehe im Steilen, der große (aber fast leere) Rucksack auf dem Rücken zieht doch ein wenig nach unten, aber dank vorherigem Techniktraining bekomme ich das gut wegbalanciert. Also noch ein Zug, und noch einer, ehe wieder eine kompakte und gut für eine Schraube geeignete Stelle auf Hüfthöhe ist. Die Schraube spuckt durchgehend einen weißen Bohrkern aus und ich bin in meiner Einschätzung der Eisqualität bestätigt. 
Unter einem Vorhang gilt es, nach rechts zu queren, wofür ich die Zapfen des Vorhangs ein wenig ausräumen muss, um nicht daran mit dem Rucksack hängen zu bleiben. Die Stelle klettert sich witzig, halb in dem Raum gekrochen traversiere ich nach rechts, um dann wieder über dem Überhang nach links zu queren und in ca. 80° steilem Eis ins flachere Eis und zum Stand zu kommen. Guido muss aufgrund der von mir angewandten Halbseiltechnik eine etwas direktere Linie klettern, kommt aber auch gut hoch. Ich bin leicht high, die Seillänge hatte gute 50m, war komplett im Eis zu klettern und mit ca. WI4+ wirklich schön. Das Ambiente ist nicht unwild, ausgesetzt, mit Blick über den Lac Blanc.

Blick über den teilweise zugefrorenen Lac Blanc gen Südost.

Vom Stand gilt es dann noch kurz, über eine steile Stufe in den flacheren Wald oben zu gelangen. 
Etwas trickreich im Mixedgelände (Baum, Fels, Gras und Schnee) gelingt Guido diese letzte Kletterstelle und wir binden uns überhalb aus und gelangen über den Wanderweg wieder zurück zum Auto. Auf dem gesamten Rückweg, sowohl zu Fuß als auch im Auto, komme ich nicht aus dem Schwärmen für die wunderschöne letzte Eislänge des Tages, die ich so nicht hier im Mittelgebirge erwartet hätte.
Danke Guido fürs Guiden zu dieser genialen Länge!

Fazit: Eisklettern am Lac Blanc

Schwierigkeiten: Hauptwand vmtl um die WI3, maximal WI3+, einiges aber auch einfacher je nach Linienwahl. Hier reicht ein 60m- Einfachseil, besser sind jedoch 70m für ganz links. 
Couloirs bis WI4+
Material: normale Eiskletterausrüstung. Schrauben je nach Komfort. Eher kürzere (13cm). Stände sind meist eingerichtet. 

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