Eisklettern in Sertig bei Davos
Oder: Röhren wie die Elche
Eigentlich ist das Sertigtal oberhalb von Davos bekannt für seine Kompakteisorgien. Eigentlich. So habe ich die Eisfälle im Januar letzten Jahres auch kennengelernt: Schraube drehen, klettern bis wieder du dir wieder eine Zwischensicherung wünschst und einfach wieder eine Schraube reindrehen. Anders gestaltet sich die Kletterei diesen März.
Der Samstag beginnt schon chaotisch: ich stehe wie sonst immer pünktlich um 6 Uhr morgens am Konzerthaus, dabei ist der Holzmarkt diesmal Treffpunkt. Tja, auch ein "o" an zweiter Stelle, nah dran. Dann bei Jens die falsche Straße gemerkt und kurz suchen müssen. Dann in Landquart den Abzweig nach Davos verpasst. Immerhin ist hier für die Anfahrt Schluss mit Chaos. Nicht aber für's Wochenende: Denn Jens hat nur C-Stiefel, und zwar schon geschwungene an der Front und weiche , damit sich die Teile schön laufen. Das passt leider nicht mit den ausgeliehenen Steigeisen zusammen, sodass am Samstag im Schnitt zweimal pro Seillänge die Steigeisen neu angezogen werden müssen. Dass das während der Kletterei (zum Glück im Nachstieg) nicht einfach ist, ist vermutlich recht klar, noch blöder ist die Geschichte aber, wenn die betroffene Person das erste Mal nahezu senkrechtes Eis klettern muss. Naja, wieder zurück zum Beginn und chronologisch:
Um 11 Uhr kommen wir in Sertig an, nur wenige Seilschaften sind sichtbar. Zum Glück, denn eigentlich ist Sertig neben seinem Kompakteis auch für seine äußerst lange Eissaison bekannt. Schnell zugestiegen und die erste Route rausgesucht, die wir relativ eisschlagarm klettern können und schon steigt Christoph vor. Im Kompakteis geht es bis vors steile Stück der "Namenlos", wo ich den Vorstieg übernehme. Am Aufschwung angekommen bemerke ich, dass die nächsten Meter wohl recht unangenehm werden könnten: Röhreneis mit kleinen Blumenkohlen dazwischen. Kaum Absicherungsmöglichkeiten auf der leichtesten Linie. Hier hätte ich abklettern sollen, denn die folgende Seillänge war für Jens mit seinen verrutschenden Steigeisen und für den Eisklettereinstieg definitiv eine Feuertaufe. Naja, vorbei ist vorbei, ändern kann ich's auch nicht mehr und er hat sich wacker geschlagen.
Die Kletterei in der Seillänge war für Sertiger Verhältnisse doch anspruchsvoll, es gab zwar in den Röhren doch einige Möglichkeiten für Hooks, für die Füße war die Geschichte jedoch sportlich, vor allem die linke Seite war mit kleinen, morschen Blumenkohlen garniert und musste vor dem Treten erstmal abgeräumt werden. Auch ohne die Blumenkohle hält der linke Fuß nicht wirklich gut, aber die Geräte und der rechte Fuß sind durchwegs solide. Normalerweise ist die Länge mit WI4 zu bewerten, hatte auf dieser Linie jedoch nicht wirklich viel damit zu tun. Wir klettern noch eine Länge, diesmal wesentlich leichter, und seilen ab.
Es steht noch ein Boxenstopp für Jens' Steigeisen an, die etwas fester an die Bergschuhe montiert werden wollen, wonach es auf Hoffnung auf etwas weniger schwerere Kletterei in den Sertigklassiker "Couloir" geht. Der ist mit WI3 bewertet; ich erinnere mich an eine Begehung im Januar 2022. Die erste Seillänge bestand damals aus einem 10m-Aufschwung in schönem Kompakteis mit ca. 75°, wonach es flacher wurde.
Am Einstieg angekommen sehen wir, dass auch hier wesentlich mehr Eis steht als im letzten Jahr und die Geschichte dadurch doch um einiges steiler ist. Christoph gehört der Vorstieg in der ganzen Route, und er fängt die erste Seillänge an. Die ist recht strukturiert und recht steil, vermutlich fünd bis zehn Meter mit 80 bis 85°. Für Jens mit seinen Steigeisen im Nachstieg wieder gut anspruchsvoll. Zum Stand hin ist es dann aber flach. Seillänge zwei beginnt mit schönen Wülsten, nie zu steil, und die Kletterei drumherum oder drüber (je nach Geschmack) ist gut anregend. Allerdings sind die letzten 20m der Länge Schneegestapfe, was etwas schade ist.
Die letzte Seillänge im Couloir verlangt nochmal richtige Kletterei, über einen rinnenartigen Aufschwung mit leichtem Rechtslinks-Bogen und einem letzten kurzen 5m-Aufschwung zum kompakten Stand, an dem zu dritt ein wenig gekuschelt werden darf.
Es dämmert langsam und wir seilen ab, an den Rucksäcken angekommen ist es dunkel. Wobei das stimmt nicht ganz, denn wir nähern uns dem Vollmond und es ist dementsprechend hell, wir werfen sogar Schatten! Der Wolf in mir will fast losheulen, so schön ist die Nachtstimmung!
Nachtstimmung im Abstieg. Die Stirnlampe bleibt im Rucksack! |
Für die Webcam des Walserhuus aufgestellt: der Davos-Hollywood-Schriftzug. |
Ohne Stirnlampe und mit guter Sicht dank Mond geht es zum Auto, wo wir den Tag ausklingen lassen und Jens' Steigeisen mit Reepschnur modifizieren, in der Hoffnung, dass sie diesmal halten.
Der Wecker wird für den nächsten Morgen um 7 Uhr gestellt.
Am nächsten Tag stehen wir zügig auf. Anstelle der angesagten -8°C hatte es in der Nacht wohl -16°C, zumindest laut Thermometer am Auto. Daher dauert das Teekochen auf den Gaskochern auch entsprechend lange, wordurch einige Seilschaften vor uns den kurzen Weg zu den Fällen antreten. Es sind, entgegen unserer Erwartung, mehr Leute als am Samstag vor Ort und wir fürchten, dass durch die kalte Nacht Eisschlag heute ein nicht zu vernachlässigendes Problem darstellen könnte.
Also fix hinterher und evaluieren, was sich halbwegs vertretbar klettern lässt. Zuvor werden wir jedoch Zeuge von den vielen Anfänger*innen, die es jedes Jahr ins Sertigtal zieht: Noch als wir unseren Tee kochen, steigt eine Seilschaft in die flachen ersten Meter der "Terza Cascata" ein. Als wir circa 50 Minuten später am Einstieg stehen, hat der Vorsteiger der Seilschaft vielleicht zehn Meter in komplett ausgetreten- und ausgepickelten Eis mit maximal 75° vorgestiegen, unter einem Materialeinsatz, der dem der Expeditionen der Sowjets Mitte des 20. Jahrhunderts in nichts nachsteht [ca 8 Schrauben auf zehn Meter, Anm. der Red.].
Am Einstieg angekommen entscheiden wir uns, am rechten Rand eben jenes Falls einzusteigen. Ich klettere mit einem Seil auf dem Rücken die ersten paar Meter zu einem guten Stand und bekomme währenddessen bereits gut Eis ab. Der Stand aber ist halbwegs geschützt, das Eis fällt oben drüber. Ich meine, wir könnten's versuchen, frage aber die anderen nach ihrer Meinung. Christoph passt das auch und so steigen wir ein.
Christoph und Jens im Zustieg zur "Terza Cascata". Seit den letzten Schneefällen haben die Eisfälle viele Leute besucht, daher ist der Zustieg gut ausgetreten und gut ohne Ski/Schneeschuhe zu machen. |
Die erste Seillänge ist recht flach, kürzere Aufschwünge gefolgt von flachen Stellen wechseln sich ab, ehe ich mittig unter einem Felsriegel Stand beziehe.
Die beiden kommen zügig nach, augenscheinlich hat die Bastelaktion im Bus am Samstagabend gewirkt und Jens hat keine Probleme mehr mit den Steigeisen.
Die zweite Seillänge sieht von unten spannend aus, in leichter Linkstendenz geht es über grob blumenkohliges Eis nach oben, große hohlklingende Schuppen regen zum Hooken an, aber zum Stehen wackelt das Ganze doch irgendwie. Zudem gibt's noch eine kleine Dusche in diesem Aufschwung. Die Länge ist wieder im Vergleich zum letzten Jahr recht anspruchsvoll zu klettern, aber echt spaßig. Und Blumenkohl schmeckt auch tiefgefroren!
Ich beziehe neben einem Schweizer Paar Stand, mit denen ich mich noch nett unterhalte, während Jens und Christoph nachkommen. Die letzte Seillänge führt nochmal über blumenkohliges Eis leicht nach rechts, ehe es flacher wird. Ich nehme jedoch noch einen Aufschwung mit, an dessen oberen Ende ich in einem kompakten Eisschild zwei wunderbare Schrauben, eine 21er und eine 17er, mit durchwegs weißem Bohrkern unterbekomme. Die ersten zwei super Schrauben nach dem Ende der ersten Seillänge!
An einem Block oberhalb seilen wir über die Bohrhakenstände seitlich ab. Aufgrund des hohen Besuch*innenaufkommens und unserer Energie entscheiden wir uns für einen frühen Aufbruch, um eventuell noch ohne Skifahrstau zurückzukommen. Spoiler: geklappt hat's nicht.
Fazit: Eisklettern im Sertigtal
Länge: zwischen 70m und 130m alles dabei.
Schwierigkeiten: Ab WI3 bis WI5 gibts für jeden Anspruch was, hauptsächlich jedoch bis WI4. Daher viele Anfänger*innen und Kurse an Wochenenden.
Absicherung: Die meisten Linien haben Bohrhakenstände seitlich im Fels, je nach Eisstand können diese aber verdeckt oder zu weit weg sein. Daher genug Schrauben mitnehmen, je nach Komfort. Außer zuanfang der Saison sind auch einige Abalakovs an flacheren Stellen, die zum Standmachen/Abseilen genutzt werden können.
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