Val d'Hérens, Secteur du Tunnel - Verschiedenes, WI3+

 Oder: Das Rind an der Schlinge

Wer aus dem Rhonetal bei Sion nach Süden abbiegt, verirrt sich ins schön gelegene Val d'Hérens. Dort gibt es für jede Könnensstufe Eis, das (Spoiler:) sich aufgrund vieler nicht wenig sonnenexponierten Fälle eher für den Januar eignet. Trotzdem führt es uns am Samstag dorthin, genauer gesagt in den "Secteur du Tunnel", der zwischen Evolène und Arolla liegt.

Am "Parkplatz" (einer Bucht, in die drei Autos passen) ist schon sichtbar, dass wir nicht die Einzigen sind. Der Zustieg ist kurz, aber irgendwie bin ich es nichtmehr gewohnt, schwer zu schleppen oder wie auch immer, mich strengts gut an. Könnte aber auch an den von drei Leuten vor mir benutzten Spuren, die plötzlich beim Belasten den Abgang gemacht haben, liegen. Egal. Nach 20min Schinderei stehen wir mit drei weiteren, schweizer Seilschaften vor dem Hauptfall, der mit "Cascade du Tunnel" und "Cascade Pilier du Tunnel", beide WI3+, aufwartet. 
Da wir uns für einen azyklischen Start entschieden haben, sind die anderen Seilschaften bereits auf dem Rückweg. Wobei die Entscheidung aufgrund des Starts um 6 in Freiburg und der über vierstündigen Anfahrt eher eine passive gewesen sein dürfte. Ganz gut, weniger Eisschlag für uns. Wir unterhalten uns noch mit zwei netten Schweizern, von denen der Eine witzigerweise drei Monate in Freiburg studierte und sich noch lebendig an wilde Partys im Räng-Teng-Teng erinnert. Von denen gibt es auch den Hinweis, dass am linken Fall oben am Stand an einem Baum ein "Rind" hinterlassen wurde. Dass das Rind kein Tier, sondern ein Metallring bzw. ein Schraubglied ist, merken wir oben schnell.

ganz netter Fall: Cascade du Tunnel

Ohne zu zögern und mit viel Motivation startet Jan am scharfen Ende in die erste Länge der Cascade du Tunnel. Die ist noch recht flach und hat links, im (laut Geologen Jan) sehr weichen, bröseligen Fels einen Stand. Voll von Hoffnung, dass die Bolts dafür extralange Gewinde haben, machen wir uns fest. Meine Seillänge ist eine unhomogene, immer wieder mit flachen Bändern und steilen Aufschwüngen durchzogene Seillänge. Etwas kruschtig, heterogen, aber immerhin manchmal steil. Dank (zu?) milder Temperaturen klettert sich alles auch super, die Eisgeräte stecken im Nu zur Hälfte im Eis. 
Stand beziehe ich an zwei Schrauben am linken Rand, Jan kommt nach und ist an der Reihe. Mit dem kurzen Aufschwung zum Top macht er kurzen Prozess und am folgenden Stand bewundern wir ein Rind der etwas anderen Art. 
In zwei Abseilern geht es wieder nach unten, der erste funktioniert aber nur dank 60m-Seilen und Seildehnung. Egal, wieder am Felsstand.

Es ist erst 15:50 Uhr und wir entscheiden uns noch, in den rechten Fall einzusteigen. Die erste Seillänge, eine superflache Rampe, stapfen wir seilfrei hoch und beziehen kurz unterhalb des im Fels gebohrten Standes unseren Standplatz.

seilfrei im flachen ersten Teil der "Cascade du Pilier du Tunnel"

Rückblick auf die schöne zweite Länge


Ab hier geht's für mich in der schönsten Seillänge des Wochenendes ausnahmsweise durchgehend steil bis zum nächsten Stand, der keinen guten Eindruck macht. Ein bereits installiertes Kräftedreieck, der eine Punkt ein Bohrhaken (im gleich fragwürdigen Fels) mit lockerer Lasche und Mutter, die ich erstmal von Hand so fest anziehe wie es geht. Der zweite Arm des Dreiecks führt ins Eis und ich hoffe, dass der Haken oder was auch immer dort steckt, festgefroren ist. Der Winkel des Kräftedreiecks ist noch dazu größer als 90°, da hat irgendwer nicht im Physikunterricht aufgepasst. Zu dem Chaos gibt's von mir noch eine super Eisschraube spendiert und ich kann mit gutem Gewissen Stand beziehen. Jan macht eine kurze Seillänge, auf einem Band holt er mich nach. Die letzte Seillänge für mich wird die komischste des Tages: die zu milde Temperatur hat ihre Spuren hier deutlicher hinterlassen als links: "Pflotsch" machen die Eisgeräte und mit wenig Schwung verschwindet die Haue komplett im Eis. Wobei ich noch immer mit mir diskutiere, ob das noch Eis war oder schon Schneematsch. Die Geschichte ist aber halb so wild; die Seillänge ist flach und mit guten "Pflotschs" klettert es sich schnell nach oben. Noch ein anderer Faktor führt zur Schnelligkeit: in dem "Eis" verzichte ich auf rein moralische Eisschrauben und mache mich an einem Baum oben fest. Und runter geht's. Die Abseilerei bleibt nicht ohne Ereignisse: ich vergesse den Knoten im einen Seil und darf nochmal sieben Meter nach oben klettern. Inzwischen sind die Seile trotz Imprägnierung patschnass und beim Abseilen wringt das Reverso einen soliden Wasserfall aus den ihnen. 

Dank Schlafmangel geht's ziemlich fertig zum Bus, wo wir kochen und dann bald auch schlafen. Falsche Entscheidung, wir alle kommen am nächsten Morgen kaum aus den Federn. Folge: die Fälle im guten Zustand sind an einem Sonntag natürlich alle überbelegt und die, die Sonne abbekommen, schon nichtmehr so solide wie um 6:00 Uhr in der Früh. Ohne Eismeter am Sonntag fahren wir also wieder heim, was aber nicht weiter schlimm ist, am Samstag gab's genug davon. Wenn auch etwas flach und inhomogen. 

schöner, aber komplett hinterspülter Eisfall am Sonntag


Fazit: Val d'Hérens
Viele Eisfälle zwischen Evolène und Arolla, allerdings auch viele mit Sonnenexpo im Februar. Für die anderen Sektoren besser früher im Jahr oder bei bedecktem Wetter. 

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