Schloßberg (455m) - Westflanke WI1-
Als der letzte Dezember kalt war (und das war er blöderweise immer dann, wenn kein Niederschlag kam, außer eben das eine Mal), gab es die rare Gelegenheit, im Eis auf den Freiburger Schloßberg zu gelangen. Ein (nicht ernst zu nehmender) Bericht.
16.12.22
Bereits im Zustieg zur Westflanke des Schloßbergs (455,9m) wird das Programm des Abends klar: Eis, überall. Selbst die flachen (horizontalen) Abschnitte sind technisch nicht simpel, aufgrund der vielen Begehungen ist das Eis so glatt wie es nur sein kann. Ich versuche es weiter.
Die Flanke naht und sieht furchteinflößend aus: Rutschspuren von 10m bis zum Auslauf erzählen von den weniger erfolgreich verlaufenen Besteigungsversuchen.
Ich schnaufe durch und beginne mit der ersten Steilstufe. Die ist mit etwas Gespür für die Materie gerade so zu holen. An manchen Stellen liegt noch Schnee auf dem sonst komplett blanken Eis, der mein Gewicht hält. Aus Stilgründen möchte ich eine By-Fair-Means-Begehung verbuchen, also ohne das (sowieso komplett unbrauchbare weil eisige) Geländer. Nach zwanzig Metern die erste Rastposition, ehe der Mittelteil der Flanke bis zum Spielplatz durchgehend relativ steil bleibt. Ich nutze die kurze Verschnaufpause und plane meinen Weiterweg. Das Ambiente bleibt ernst, es ist dunkel, außer mir kein Mensch unterwegs, auch hier nur Spuren, welche auf fehlgeschlagene Begehungen hinweißen. Die Bedingungen so schlecht wie sie nur sein könnten, aber gerade am Limit des Mach- und Vertretbaren. Ein Rückzug würde sich schon hier schwieriger gestalten als die Flucht nach vorn.
Nach kurzer Rast beginne ich mit dem durchwegs etwas anspruchsvollen Mittelteil. Nie schwer, aber auch nicht zu unterschätzen, meine Aufmerksamkeit liegt voll bei meiner Position und den nächsten Zügen im unbarmherzigen Eis. Schritt für Schrittsteige ich höher.
Nach etwas Zeit ist auch dieser Abschnitt geschafft und ich stehe vor der kurzen, aber steilen Headwall zum Kanonenplatz: Kopfsteinpflaster, unendlich oft angetaut und durchgefroren. Äußerst anspruchsvoll, dazu noch steiler als der Rest: die 18,5° bis zum eisärmeren Gipfel stellen die letzte Hürde dar. Den Spuren nach zu urteilen, haben es nur wenige meiner Vorgänger*innen bis hierhin geschafft.
Außer einer eiskalten Brise, die die Baumkronen zum Pfeifen bringt, ist es still; ich bin alleine. Die Exposition ist mir bewusst, ein Ausrutschen hier würde in einem langen Sturz resultieren, unter Umständen bis an den Fuß der Flanke.
Ich schnaufe durch und sehe mir die Headwall an.
Nach anfänglicher Unsicherheit offenbaren sich nach und nach Trittmöglichkeiten, die sich zu einer Linie zum Gipfel verbinden lassen: der Schlüssel zur Passage! Ich präge mir die einzelnen verschneiten Tritte ein und brenne die Linie auf meine Netzhaut und behalte sie so im Kopf und Sicht, jetzt muss sie nur noch auf den Berg gebracht werden! Entschlossen steige ich höher. Der Wind pfeift mir um die Ohren, die Stadt liegt mit ihren vielen Lichtern weit unter und nicht weit hinter mir.
Die Meter vergehen wie im Flug, ich bin in meinem Element. Ich bin mir sicher, ich erlebe gerade das, was in der Psychologie "Flow" genannt wird: Deckungsgleichheit von Anforderungen und Können, komplettes Aufgehen in der Tätigkeit.
Plötzlich stehe ich auf dem Kanonenplatz, dem Abschluss der Flanke.
Nach anfänglicher Zufriedenheit bin ich schnell wieder im Hier und Jetzt, schließlich steht der Abstieg an. Ich evaluiere, welcher Weg am sichersten sein könnte. Aufgrund des (wider Erwarten) vielen Eises hier oben scheiden die direkteren Möglichkeiten aus. Ich entscheide mich für den Nordabstieg. Der beschreibt ein großes umgekehrtes "U", allerdings ist er aufgrund der weiten Strecke auch durchgehend recht flach und besser begehbar als die theoretischen Alternativen. Schnell mache ich mich auf den Weg, denn am Ende des Nordabstiegs lande ich nicht unterhalb der Ostflanke, sondern in Herdern, ein ganzes Stück nördlich meines Ausgangspunkts. Zu viel Zeit habe ich nicht, schließlich war es bereits bei meinem Start in die Flanke dunkel. Ich muss nur runter vom Berg, ehe die Sicht verschwindet, zum Fuß der Flanke komme ich notfalls auch so.
Die Zeit vergeht, ich nähere mich langsam aber stetig der Horizontalen.
In Herdern angekommen verlässt mich alle Anspannung. Ich zögere nur kurz, um möglichst schnell wieder an meinen Ausgangspunkt am Fuß der Ostflanke zu sein und somit die Chance auf ein Abendessen im Warmen zu haben.
Schloßberg Ostflanke
Länge: 500m
Schwierigkeit: ca. WI1-, bei wenig Eis kurze Stellen M1-
Ernsthaftigkeit: kaum Sicherungsmöglichkeiten, weites Sturz-/Rutschpotenzial.
Fazit: einzigartiges alpinistisches Erlebnis im Schwarzwald
Disclaimer:
Bei Blitzeis am besten, wenn möglich, zu Hause bleiben; ist unberechenbar und die Uniklinik kann sich auf ihre bereits bestehenden Patient*innen konzentrieren ;)
Na, zu dick aufgetragen?
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