Über's Sammeln von Pausepunkten und ähnlichen Dingen
Im deutschsprachigen Raum kennt fast jede*r sie, die bzw. der alpin klettert: die Kult-Bücher von Walter Pause: "Im leichten Fels", "Im schweren Fels" und, last but not least, "Im extremen Fels". Letztes ist bekannt als "DER Pause", die enthaltenen 100 Kletterrouten haben sich als "Pausetouren" durchgesetzt.
Ursprünglich erschien der Pause (ab jetzt rede ich von "Im extremen Fels", wenn ich "den" Pause nenne) 1970. Bereits damals war das Buch schnell vergriffen, sodass 1977 eine zweite Auflage erschien. Wer wissen mag, welchen Status die Kultbücher haben, sollte nur in den entsprechenden Foren für gebrauchte Bücher nach ihnen suchen: unter 250€ läuft bei den ersten beiden Auflagen rein gar nix. 2016 dann kam Christoph Klein und legte den Klassiker neu auf, denn einige der Routen haben durch Felsstürze oder ähnliche Ereignisse das Zeitliche gesegnet. Diese wurden in der dritten Auflage ersetzt. (Bei der zweiten Auflage war's genauso. Daher gibt, bzw. gab, es eigentlich mehr als 100...) Durch die dritte Auflage haben die alten Routen (die nicht schon so Klassiker in ihren Gebieten waren) eine Art Renaissance erfahren.sorry für die schlechte Bildqualität! |
Irgendwann dann dachten sich einige wenige Leute: "Warum nicht versuchen, alle zu klettern?" Die Pausetouren als Sammelobjekte waren geboren. Heutzutage sammeln viele Kletternde aus gesamt Europa Pausetouren und damit "Pausepunkte". So kommt es, dass im Sommer selbst wochentags an einem Berg, den sonst kaum ein Mensch kennt und der sehr abgeschieden liegt, teilweise Stau herrscht.
Ich meine hier, als Beispiel, den Grundschartner, der mit seiner Nordkante als eine der abgelegeneren Touren doch erstaunlich viele Leute anlockt. 2020 stellte er meine erste, "zünftige", ernsthaftere Alpinkletterei dar: 750m Kletterstrecke, Schwierigkeiten bis VI, kein einziger Bohrhaken, nur vereinzelte Normalhaken, Rückzüge sind nur schwer möglich. Drei bis dreieinhalb Stunden Zustieg, etwas längerer, komplizierter, unschöner und anstrengender Abstieg. Die meisten Leute gehen ihn trotz des Zu- und Abstiegs an einem Tag vom Tal aus, so auch wir. Am Mittwoch unserer Tour waren noch fünf andere Seilschaften am Grat unterwegs.
in der Bildmitte die prägnante Nordkante des Grundschartners. Von Osten her bekommt sie das erste Morgenrot ab und stellt so eine Licht-Schatten-Grenze dar |
Was motiviert die vielen Leute, über die Mautstraße mit ellenlangem Tunnel ins abgelegene Hochtal zu fahren und von dort, ohne den Berg überhaupt sehen zu können, in Richtung Grat zu steigen? Wäre die Nordkante nicht im Pause, sähe das eventuell ziemlich anders aus. Aber ist es wirklich nur das Phänomen "Pausepunkt"?
Meine Motivation (und vermutlich auch die manch anderer Leute), manche Routen aus dem Buch zu klettern, ist (meist) eine andere: der Charakter der Ziele. Nicht umsonst wählte der alte Pause den Titel "Im extremen Fels", denn die Routen sind meist in eindrucksvollen Wänden (oder eben eindrucksvollen Graten) situiert und stellen häufig die erste begangene Route durch den entsprechenden Bereich dar. Das heißt im Nominativ (Normalfall): die offensichtlichste, einfachste (wobei das natürlich immer relativ zu verstehen ist!) Linie durch den Bereich. Das garantiert meist eine beeindruckende Exposition und vor allem eins: Achtung vor den Leuten, die sich teils bereits früh in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in die entsprechenden Wände bzw. Wandbereiche gewagt haben (die Nordkante des Grunschartners z.B. wurde 1928 erstbegangen). Ein weiterer Grund für mich: das Nachvollziehen der Entstehung und Entwicklung des Bergsports durch das Wandeln auf den Spuren der Vorgänger*innen (meist muss das allerdings leider nicht gegendert werden).
Aber macht das überhaupt einen Unterschied? Ich klettere die Routen genau so wie die Leute, die sie eben sammeln wollen. Erleben sie genau so intensiv, wie ich das tue? Oder geht es ihnen gar um etwas ganz anderes? Fragen, die nie endgültig beantwortet werden können, es auch nicht werden und es auch nicht sollen. Auch sowas tolles am Bergsport.
Nach dem Prinzip Pause kamen, in den letzten fünf Jahren, weitere Auswahlführer wie die "Moderne Zeiten" oder die "Longlines" auf den Markt. Beide stellen 100 respektive 40 Routen in einem recht großen Gebiet vor. Die Kriterien für die beiden Werke sind allerdings etwas klarer formuliert, somit eventuell auch die Gründe für eine Begehung? Die "Modernen Zeiten" sind 100 Routen, die nach dem Anstoß der Sportkletterbewegung im Alpenraum 1977 (durch die Erstbegehung der Pumprisse im Wilden Kaiser) geklettert wurden und einen Meilenstein im entsprechenden Gebiet bzw. über all darstellten. Die "Longlines" hingegen sind 40 ellenlange Routen in den nördlichen Kalkalpen, die über 500m Kletterei oder mehr als 20 Seillängen haben. Mit ihren eher festgelegten (im Vergleich zum Pause) "Aufnahmekategorien" haben sie auf den ersten Blick ersichtlichere "Gründe", warum mensch genau diese Routen klettern sollte. Oder eben wieder, um sie alle zu sammeln?
Weiterlesen:
die (vergriffene) dritte Auflage
Rezension zur dritten Auflage von Christoph Klein
extreme collect
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